Nach der Leipziger Völkerschlacht vor 200 Jahren wechselte Baden die Seiten – Vor 100 Jahren wurde in der Stadt gefeiert
Das Standardwerk: Völkerschlacht-Gemälde von Wladimir Moschkow, 1815.
Oktober 2013
Von Rainer Hofmeyer
Die Völkerschlacht bei Leipzig vom 16. bis 19. Oktober 1813 mit der Niederlage Napoleons war eine Entscheidung der nationalen Befreiung für deutsche Länder. Der badische Großherzog wechselte nach dem Jahrhundertereignis die Seiten. Statt der Franzosen lagen 1813 russische Soldaten in Eberbach. Nach jetzt 200 Jahren gab es zentrale Friedensveranstaltungen am Völkerschlachtdenkmal in Leipzig. Aber in Eberbach blieb das Jubeln heuer aus.
Wie sich die Zeiten doch ändern. Da verstreichen heuer der 16. bis 19. Oktober in Eberbach ohne jedwede offizielle Erinnerung an ein früher so wohl beachtetes weltgeschichtliches Ereignis vor 200 Jahren. Und selbst bei der Frage nach einer Erinnerungstafel, die am 18. Oktober 1913
anlässlich der damit zusammenhängenden Jahrhundertfeier enthüllt worden ist, muss das heutige amtliche Eberbach passen. Die Gedenkplatte am früheren Rathaus beim Alten Markt ist irgendwann vor Jahrzehnten abgehängt worden und inzwischen spurlos verschwunden. Keiner weiß mehr etwas über ihren Verbleib.
Es geht um die Völkerschlacht bei Leipzig vom 16. bis 19. Oktober 1813.
Bei der Jahrhundertfeier am 18. Oktober 1913 hatten die Eberbacher den Jahrestag der Befreiung von der napoleonischen Vorherrschaft ausgiebig beklatscht und waren nationalstolz durch die Stadt gezogen. Am Rathaus hängte man die Namen der Kriegsteilnehmer von 1806 bis 1815 auf.
Der 200. Jahrestag ist 2013 in der Stadt jubelfrei vorüber gegangen. Selbstbewusst gefeiert wurde jetzt, also zweihundert Jahre nach der Völkerschlacht, allemal nicht. Bei Leipzig gedachte man der großen Schlacht eher mit europäischen Versöhnungsgesten. Und in Eberbach dominiert dieser Tage das Gedenken an das Schicksal der Juden in der Stadt. Auch sonst wäre Nationalstolz der alten Art heute politisch nicht mehr opportun.
Dabei gilt das kriegerische Ereignis bei Leipzig von 1813 mit rund 600 000 beteiligten und 92 000 verwundeten oder gefallenen Soldaten aus über einem Dutzend Ländern
als bis dahin größte Schlacht der Weltgeschichte. Die zahlenmäßig überlegenen vereinigten Heere der Österreicher, Preußen, Russen und Schweden brachten dem Franzosenkaiser Napoleon Bonaparte die entscheidende Niederlage bei, zwangen ihn, sich aus Deutschland zurückzuziehen.
Wenn man so will, feierten die Eberbacher vor jetzt genau hundert Jahren - wie der Rest des Großherzogtums Baden - im Nachhinein die Niederlage der eigenen Soldaten. Denn die Stadt gehörte 1813 anfangs noch zur Seite Napoleons. Der badische Großherzog Karl musste mit anderen deutschen Ländern wie Bayern, Württemberg, Hessen-Darmstadt, Sachsen und Westphalen bis zu 8000 seiner Untertaten ins starke militärische Potenzial der Rheinbundstaaten abstellen. Diese Armee diente in erster Linie der Stützung der napoleonischen Machtinteressen in der Welt.
Die rechtsrheinische Kurpfalz mit Eberbach war 1806 badisch geworden
und damit Teil des von Napoleon aufgezwungenen Rheinbundes, der die deutschen Lande neu gliederte. Ende April marschierten in Eberbach französische Truppen auf, quartierten sich auf Kosten der Stadt in Gaststätten und Privathäusern ein. Das rund 2 000 Einwohner große kurpfälzische Städtchen wurde am 16. September 1806 unter Mitwirkung eines französischen Kommissars förmlich an die von nun an regierenden Behörden des badischen Großherzogtums übergeben.
Eberbach stellte künftig zahlreiche Soldaten für die badischen Truppenkontingente, also mittelbar für Napoleon. Als man vor hundert Jahren eine Liste der Eberbacher Kriegsteilnehmer von 1806 bis 1815 aufstellen wollte, um diese mit der genannten Gedenktafel zu ehren, hatte man alle Mühe, die Namen vollständig zu finden. Ein alter Eberbacher erinnerte sich damals, von seinem Vater gehört zu haben, vierzig Soldaten aus der Stadt hätten 1912 bei der Schlacht am weißrussischen Fluss Beresina den Tod gefunden. Aber in den amtlichen mehrjährigen Rekrutierungslisten kam man im Gesamten nicht auf diese hohe Zahl.
Der frühere Bürgermeister John Gustav Weiss hat sich 1913 die Mühe gemacht, ein Verzeichnis der früheren Kriegsteilnehmer erstellen. Über mehrere Einzugsjahrgänge von 1804 bis 1815 hinweg kommt Weiss auf 75 Eberbacher Soldaten, von denen wahrscheinlich 36 gefallen sind. Vom Aushebungsjahrgang 1805/06 hat von 15 Soldaten nur ein Mann überlebt. 25 weitere Kriegsteilnehmer wurden zwar als Rückkehrer registriert, sind aber zuvor in keinem Rekrutierungsverzeichnis erfasst gewesen. Die Zahlen haben viele Fragezeichen.
Rückblende in das entscheidende Jahr 1813. Von April bis August zeigten sich wieder einmal französische Truppen in und um Eberbach. Sie machten in der Stadt Station, wurden dann auf dem Neckar weitertransportiert. Da ahnten die Eberbacher noch nicht, dass im gleichen Jahr die jetzt noch gegnerischen Russen bei ihnen einziehen würden - als Freunde.
Nach der Niederlage Napoleons bei der Leipziger Völkerschlacht am 19. Oktober 1813
fielen die Verbündeten von Napoleon ab. Baden zögerte länger als Württemberg und Bayern, aus dem französisch bestimmten Rheinbund auszusteigen. Die unmittelbare Grenzlage zu Frankreich trieb zur Vorsicht. Zudem gab es verwandtschaftliche Verbindungen zu Napoleon, Großherzig Karl war mit dessen Adoptivtochter Stephanie verheiratet. Erst Mitte November 1813 entschied der badische Staatsrat in einer dramatischen Sitzung den Übertritt zur Seite der Sieger. Am 20. November 1813 verkündete Großherzog Karl den Fahnenwechsel. Die neuen Bündnispartner waren fortan Österreich, Preußen und Russland.
Und so kamen Militärs aus Russland nach Eberbach.Am 21. November 1813 quartierten sich 12 russische Generäle, 53 Stabsoffiziere, 155 sonstige Offiziere sowie 2755 Unteroffiziere und Soldaten in Eberbach ein.
Die Truppen blieben neun Tage.
Die Stadt bestätigte dem russischen Platzkommandanten, dass seine Mannen „gute Zucht und Ordnung“ gehalten hätten. Es folgte unmittelbar am 1. Dezember fast noch einmal die gleiche Zahl russischer Soldaten. Diese blieben bis 10. Dezember. Am 13. Dezember kamen auch die Preußen. Es war zeitweise mehr fremdes Militär in der Stadt als diese Einwohner hatte.
Großherzog Karl ließ am 13. Dezember 1813 eine Landwehr aufstellen. Jetzt ging es für die Badener gegen Napoleon nach Frankreich. Eberbach musste dazu 25 Mann rekrutieren. Im März 1814 folgte die Errichtung eines Landsturms. Wie viele der Soldaten für das geforderte Bataillon aus Eberbach kamen, ist nicht mehr feststellbar. Dieses Mal marschierte man nach Westen. Alle aktiven Soldaten und Landwehrleute operierten im Elsass nun gegen die Truppen Napoleons. Die französische Vorherrschaft über das Land war zwar am Ende gebrochen. Was jedoch Napoleon mit der Kurpfalz gemacht hatte, wurde nicht mehr revidiert.
Eberbach ist badisch geblieben,
207 Jahre bis heute insgesamt. Genau 100 Jahre länger war die Stadt vor dem Wechsel zuvor kurpfälzisch.
Freudenfeuer auf der Burg Wie die Eberbacher 1813 den Jahrestag der Völkerschlacht feierten
Alle Schulkinder bekamen bei den Klassenfeiern eine Gedenkmünze der Stadt Eberbach.
Auf der Vorderseite der Reichsadler mit Reichkrone, der russische Zarenadler, und im Hintergrund die aufgehende Sonne, die das Völkerschlacht-Denkmal von Leipzig überstrahlt. Man sah die Kleinen überall in der Stadt mit ihren silbernen Schätzen in der Hand. Die Häuser waren festlich geschmückt.
Schon am Samstag, dem 18. Oktober 1913 waren Feierlichkeiten. Eberbach feierte man wie überall im Reich. Besonders gewürdigt wurde in den Reden der Offiziellen die jetzt gewonnene Einheit des deutschen Volkes, nach einem Jahrhundert der Zerrissenheit. Eberbachs Bürger hatten sich herausgeputzt. Leider gibt es über das Jubilieren in der Stadt keine zusammenhängenden Berichte.
Einige wenige Bilder im Eberbacher Archiv lassen erahnen, was in der Stadt los war: Der Marsch von Honoratioren und Vereinen an der Neckarbrücke, die die Enthüllung des Denkmals für die Eberbacher Kriegsteilnehmer von 1806 bis 1815
am 18. Oktober beim damaligen Rathaus am Alten Markt, die festliche geschmückte Hauptstraße mit Fahnen und Girlanden an jedem Gebäude.
Ein Böllerschuss am dunklen Abend des 18. Oktobers, dann ein einstündiges Freudenfeuer
auf der Burg, gefolgt von einer bengalischen Beleuchtung der Ruine. Auf dem Scheuerberg, dem Hungerbuckel – überall loderten die Flammen. Die Igelsbacher zeichneten sich durch ein besonders helles Feuer aus, wird berichtet.
100-Jahr-Feier am Alten Markt. Die Straßen waren festlich geschmückt.
Honoratioren und Vereine beim feierlichen Marsch an der Neckarbrücke.
Eberbach brachte zur Jahrhundertfeier eine eigene Münze heraus.