Neuer Text

Viktoria von Eberbach -Torte 

Telegramm aus Emden: Hurra, Viktoria ist da
Konditor Heiner Strohauer erfand 1962 seine Versand-Torte - Rezept bis heute

"Der Schöpfer" - Heiner Strohauer.

Februar 2012
Von Rainer Hofmeyer


Manchmal ist ein Produkt berühmter als die Stadt, aus der es kommt. Der Bäcker- und Konditormeister Heiner Strohauer der Dritte kreierte vor 50 Jahren die Viktoria-Torte, die Eberbach bekannt machen sollte. Dass aus dem leckeren Stück auch noch ein Versandartikel wurde, ist einer hartnäckigen Hauswirtschaftslehrerin zu verdanken, die damit in ihrer Heimatstadt Emden Eindruck machen wollte.

Heiner Strohauer III. war ein kreativer Mensch. Seit 1950 hatte er den Meisterbrief als Konditor. Von Vater und Großvater übernahm 1954 Heiner der Dritte die Bäckerei und Konditorei in der Bussemerstraße, im Haus auch eine Weinstube. Es folgte die Zeit, in der sich Eberbach so langsam darauf besann, eher ein "Luftkurort mit Heilquellen-Kurbetrieb" als ein Industriezentrum zu werden. Und Heiner Strohauer war der Meinung, dass auch ein Mittelständler dazu beitragen sollte, dass seine Heimatstadt bekannter wird, um mehr Gäste anzulocken. Hinter der Erfolgsidee der Versandtorte "Viktoria von Eberbach" stecken allerdings zwei zufällige Ereignisse.

Da kam nämlich zuerst einmal 1962 während einer internationalen Tagung die Einladung einer deutschen Konditoren-Delegation ins berühmte Grand Hotel in Stockholm. Dort werden normalerweise die Nobel-Preise gefeiert. Die schwedische Königsfamilie lud zum Festbankett ein. Delegationsmitglied Heiner Strohauer war von der süßen Nachspeise hell begeistert. Selbstverständlich wollte er sogleich das Rezept des Gaumenkitzlers. Der verantwortliche Schweizer Patissier aber gab sein Patent für die Torte nicht raus: "Nur über meine Leiche", beschied er wörtlich in kratzigem Schweizerdeutsch.

Aber ein Konditor weiß, woher ein bestimmter Geschmack kommt. Wenn es schon nichts Schriftliches gibt, muss die Erfahrung des Fachmannes genügen. Heiner Strohauer holte sich die Ingredienzien aus seiner Erinnerung. In Eberbach angekommen, mischte er sofort seine Zutaten, um dem erlebten Genuss so nahe wie möglich zu kommen.
Der Meister fand auch den passenden Namen für seine neue Torte, zwei Mal um die Ecke von der Konditorei entfernt: Im Thalheim'schen Haus in der Kellereistraße wäre nach Eberbacher Lesart anno 1819 fast die spätere englische Königin Victoria I. zur Welt gekommen. Ein solch berühmter Name für einen Eberbacher Kuchen war einerseits ein bisschen hochgestochen, andererseits aber bei Nachfragen auch hinreichend zu erklären.

Das originale "C" der Königin Victoria deutschte Strohauer ein in "K" für den Kuchen: "Viktoria von Eberbach Torte". Ohne die berühmte Benennung würde das Produkt "Orange-Wein-Sahnetorte, umlegt mit Biskuit-Rouladen" heißen. Als Viktoria war sie aber erst recht etwas für die kleine Weinstube der Strohauers, ein richtiger Höhepunkt für den Kaffeetisch.

Die neue Torte wäre eine lokale Größe geblieben, hätte nicht die aus Emden stammende und in Eberbach tätige Hauswirtschaftslehrerin "Fräulein" Hanna Nedden Besuch von ihrer ostfriesischen Cousine gehabt. Zum Kaffeeklatsch  gingen die Damen in Strohauers Weinstube. Viktoria begeisterte die beiden Lukullas. "Wenn ich in einem Monat in Emden bin, möchte ich dort eine Torte haben, schicken Sie sie mir bitte zu" - Hanna Nedden war bereit, das Versandrisiko zu tragen.

Ein kleines Transport-Problem, aber lösbar: Strohauer fror die Torte im Tiefkühlfach ein und steckte sie in eine ausgepolsterte leere 2,5-Kilo-Kaffee-Blechbüchse. Die Deutsche Bundesbahn war der erste Frachtführer auf dem Weg der späteren Berühmtheit nach Emden. Angekommen ist das Sahnestück pünktlich und wohl auch recht unversehrt. Fräulein Nedden bedankte sich jedenfalls freudig mit einem Posttelegramm: "Hurra, Viktoria ist da".

Das gab den zweiten Ideenblitz. Wenn es die Torte schon nach Ostfriesland schafft, dann muss sie doch auch in der Nähe von Eberbach gut ankommen. Strohauer inserierte in den Zeitungen der Umgebung: "Viktoria ab sofort versandfertig". Die Bestellungen liefen wie erhofft ein. Doch nicht in jedem Fall blieb das Versandgut unbeschädigt. Es gab schon die eine oder andere Beschwerde: Manche Viktoria bekam auf der Bahn ihren Teil ab.

Eines Tages erschien ein Vertreter bei Heiner Strohauer und brachte die Lösung des Verpackungsproblems mit. Fortan gab es eine passgenaue Styropor-Umhüllung. Die schonte Viktoria im Gepäckwagen und hielt sie auch länger kalt. Drei bis vier Tage Versand machen der Torte nichts aus. Also konnte die Reise auch etwas länger sein. Im Tiefkühlfach hält sie dann noch eine Woche. Wer will, kann heute auch noch ein Fläschchen Grand Marnier dazu bestellen, das verstärkt den Orangengeschmack. Und wer die eisige Torte nach dem Eintreffen gleich flambieren will, bezieht eben einen Rum mit.

Das 10-jährige Jubiläum der reisenden Viktoria aus Eberbach wurde der eigentlichen Ideengeberin des Tortenversandes gewidmet. Die Stadt Emden inszenierte 1972 eine große Feier in einem örtlichen Altersheim, bei der Ilse Johanna Nedden und ihren Gästen höchstpersönlich von Heiner Strohauer einige der schon berühmt gewordenen Viktorias kredenzt wurden.

Aus der Konditorei Strohauer wurde ein kleines mittelständisches Handelsunternehmen: Viktoria-von-Eberbach-Tortenversand. Vorübergehend gab es in Heidelberg auch einmal eine Produktionsstätte. Heute kommt die Viktoria wieder nur aus Eberbach, wo die Strohauers 1963 mit dem Café Friedrichstraße einen zweiten Standort aufbauten, ehe dann die Weinstube in der Bussemerstraße aufgegeben wurde.

Heiner Strohauer wurde in Eberbach schlicht "der Schöpfer". Er war ein Werbegenie. Immer wieder war die Torte mit ihrem Erfinder Gegenstand von Berichten in Presse, Funk und Fernsehen. Der Eberbacher Konditor konnte sich freuen über Meldungen oder Bilder, in denen Staatsleute und Monarchen seine Viktoria genossen.

Strohauer schickte 1962 öffentlichkeitswirksam eines seiner Prachtexemplare in den Londoner Buckingham-Palast, und Königin Elizabeth lies artig Dank sagen. Bundeskanzler Helmut Kohl und Frankreichs Staatspräsident Francois Mitterand bekamen 1994 mitten auf der brechendvollen Heidelberger Hauptstraße je ein Stück Viktoria, persönlich vom Meister serviert. Mit seiner Viktoria schaffte der Konditor den erstrebten hohen Bekanntheitsgrad: Eberbach ist doch die Stadt, wo diese berühmte Torte herkommt.

Der Schöpfer hätte sich zu seiner Zeit nicht vorstellen können, dass der Hype andauert und seine dann fast ein halbes Jahrhundert alte Torte im Jahr 2011 einmal im Privatsender Pro7 beim "Galileo Bundes-Cake Contest" deutschlandweit den ersten Platz machen und massenweise Bestellungen aus dem In- und Ausland auslösen würde.

So manche Hausfrau hat sich sogar via Internet am Rezept versucht, aber das Original nicht getroffen: "Auf feinem Schokoladen-Biskuit ruht eine erlesene Mischung aus frisch gepresstem Orangensaft, Sahne, Zitrone, herbem badischen Wein und echtem Rum. Diese fruchtige Aroma-Komposition wird umhüllt von saftig-zarten Biskuitrouladen-Scheiben und einem Fruchtgelee-Überzug."

Fünfzig Jahre Viktoria aus Eberbach wollen besonders gefeiert werden. Strohauers Tochter Birgit Strohauer-Valerius ist der Konditoren-Branche treu geblieben und führt das inzwischen umbenannte Café Viktoria. Und deren Kinder sind auch dabei: Sohn Florian Bäcker hat den Meister in seinem Fach gemacht, Tochter Susanne Bäcker ist inzwischen schon Gesellin. Verbunden ist das Haus auch noch mit den Royals von England, auf gewisse Weise. Zu William und Kates Heirat gab es im letzten Frühjahr eine entsprechend geschaffene Hochzeitstorte.

Aber solche Ereignisse sind nur eine vorübergehende Abwechslung im Tortengeschäft, das ansonsten ganz überwiegend der Viktoria gewidmet ist. Heiner Strohauers Komposition mundet heute noch wie früher: Das Rezept ist unverändert, im Geschmack genauso wie damals, als der Eberbacher Konditormeister im noblen Grand Hotel zu Stockholm von der Nachspeise eines verschlossenen Schweizer Patissiers so richtig begeistert war.

Hauptstraße Heidelberg. Bundeskanzler Helmut Kohl und der französische Staatspräsident Francois Mitterand.

Die erste Viktoria geht per PanAm ins Ausland.

Für die englische Königin.
Share by: