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Die Venus mit dem Apfel  in Eberbach

Die Marmor-Skulptur im Rathaus wurde der Stadt vom ehemaligen Chef des Berliner Nobelhotels Adlon aus eigenem Besitz geschenkt


Wie eine Steinfigur den Weg ins Neckartal fand

Vom Kurhaus zur Sadtverwaltung umgezogen.

November 2023
Von Rainer Hofmeyer

Manchmal müssen kleine Kapitel der Stadtgeschichte umgeschrieben werden. Hier geht es um die Herkunft der „Venus mit dem Apfel“ im Eberbacher Rathaus, aufgestellt im Gang vor dem großen Sitzungssaal. Die Marmor-Figur wurde bislang eher als Diebesgut aus dem ehemaligen Berliner Nobelhotel Adlon betrachtet, über dessen Herkunft man wohl besser nicht schreiben sollte. 

Doch ein Artikel dieser Zeitung aus dem Jahr 2016 und ein Internet-Bericht haben jetzt indirekt gleich  neue Erkenntnisse gebracht. Die Skulptur wurde nicht in den Kriegswirren aus dem Adlon geklaut, sondern gehörte dem, der sie 1957 der Stadt unter Bürgermeister Dr. Hermann Schmeißer geschenkt hat. Eberbach muss keine Rückgabe befürchten. Und: Es ist die römische Venus und nicht die griechische Aphrodite. auch wenn beide Frauen im Altertum die gleiche Bedeutung hatten, mal römisch, mal griechisch..

Venus, die Göttin der erotischen Liebe und Schönheit. Das Original „Venus mit dem Apfel“ stammt vom dänischen Bildhauer Bertel Thorvaldsen (1770 bis 1844). Davon gibt es weltweit zahlreiche Kopien; in Eberbach verzaubert uns eine Replik des Südtiroler Künstlers Luis Piazza.

Nunmehr kann auch der Name des großzügigen Gebers genannt werden, ohne ihn zu diskreditieren: Ewald Kretschmar, ein international renommierter und vielfach ausgezeichneter Hotelier, der jahrzehntelang Chef des Adlon war und nach dem Krieg in Eberbach gelebt hatte, der Heimatstadt seiner Ehefrau Ella geborene Meister. Nach der Übergabe an die Stadt 1957 stand die Nackte mit dem Apfel im kurz zuvor eröffneten Kurhaus in einem Blumenbeet. Sie zog erst nach Ende des Kurbetriebes 1998 über die Straße ins neue Rathaus.

Zur Herkunft der Skulptur gab es bislang in Eberbach nur eine Erzählung: Sie soll aus dem berühmten Adlon stammen und in den Kriegswirren vom damaligen Hotelchef Ewald Kretschmar mitgenommen worden sein. In einer Kiste verpackt, sei sie mit ihrem vermeintlich unrechtmäßigen Besitzer in Eberbach gelandet. Der lebte nach dem Tod seiner Frau einsam in einer Dachmansarde in der Bussemerstraße, starb 1963.

2016 wurde in einem Artikel in dieser Zeitung ausführlich über „die Aphrodite vom Hotel Adlon“ geschrieben (s.u.), einschließlich der gemutmaßten zweifelhaften Herkunft. So wurde der Sachverhalt damals auch amtlich bestätigt, zumal die Version Adlon entsprechend in der Bevölkerung verbreitet war. Im betreffenden Zeitungsbeitrag stand der Name des Schenkers nicht. Denn dem wäre posthum der öffentliche Vorwurf eines Diebstahls oder einer Unterschlagung gemacht worden.

Falsch. Ewald Kretschmar hat die Figur nicht geraubt. Sie stammt auch nicht aus dem in Nachkriegstagen zerstörten Hotel Adlon, im Berliner Ostteil gleich hinter dem Brandenburger Tor gelegen.


Die 2016 veröffentliche Geschichte findet sich auch im Internet auf der Seite Eberbach-History. Eine historisch interessierte Gruppe, „Adlon Berlin Archiv“, meldete sich. Sie arbeitet die Geschichte des berühmten Hotels auf und ist bei ihrer Recherche auf den digitalisierten Artikel gestoßen. Die Sache mit der Figur vom Hotel Adlon könne nicht stimmen, schrieb die Recherchegruppe, denn nirgends sei sie dort auf alten Bildern zu finden.


Die mitgelieferten persönlichen Daten zu Ewald Kretschmar nährten jetzt auch Zweifel an der bisher veröffentlichten Eberbacher Version. Kretschmar war von 1907 bis 1932 Chef im Adlon. Somit konnte er die Figur nicht zu Kriegsende 1945 dort mitgenommen haben.

Nach jüngster Anfrage seitens dieser Zeitung hat Stadtarchivar Dr. Marius Golgath, seit 2019 im Dienst, gezielt in den Archivalien gesucht und einen Volltreffer gelandet. Neben dem Protokoll einer Gemeinderatssitzung von 1958, in der vom Geschenk der Venus berichtet wurde, findet sich im Stadtarchiv überraschend ausführlich die wahre Herkunft der schönen Frau beschrieben.
Die Überprüfungen dieser Zeitung brachten einen weiteren Fehler zutage. Bereits bei der ersten Veröffentlichung 1958, im folgenden Eberbacher Geschichtsblatt und danach war bei städtischen Verlautbarungen statt von der Venus irrtümlicherweise stets von der „Aphrodite“ geschrieben geworden.

Als Erwin Kretschmar und seine Frau Ella 1933 Silberne Hochzeit feierten, schenkten ihnen ihre Kinder die „Venus mit dem Apfel“, erstanden in Italien. Vorerst fand die Skulptur Platz im Park des Rittergutes der Familie Kretschmar bei Schosdorf in Schlesien.

Als Kretschmar 1939 mit dem Coburger Hof in Berlin ein neues eigenes Hotel eröffnete, fand die Venus Platz im Ziergarten des Hauses. Im Zweiten Weltkrieg wurde die Figur im Berliner Sandboden vergraben. 1945 hat man sie ausgebuddelt, von 1947 bis 1957 war sie bei einem Westberliner Rechtsanwalt aufgestellt.

Ewald Kretschmars 1955 verstorbene Frau hatte gewünscht, dass die Skulptur ihrer Heimatstadt Eberbach vermacht wird. So kam es denn auch. Per Flugzeug über die Sowjetzone und weiter per Spedition auf dem Landweg, wurde die Venus 1957 nach Eberbach geliefert; Transportkosten für die Stadtkasse 64,30 D-Mark.

Wenn es eines weiteren Beweises bedurfte, um Ewald Kretschmar und nachfolgend die Stadt Eberbach als rechtmäßige Eigentümer der schönen Figur zu belegen: Es gibt eine Postkarte von Kretschmars früherem Hotelgarten. Darauf ist die Venus mit dem Apfel zu sehen. So wie sie heute im Eberbacher Rathaus am Leopoldsplatz steht.
Info. Recherche unterstütz vom Stadtarchiv.


Diese - nicht zutreffende Geschichte - wurde 2016 veröffentlicht:

Von Rainer Hofmeyer

Da steht sie nun im Eberbacher Rathaus. Die Aphrodite in Marmor, die griechische Göttin der Liebe, der Schönheit und der sinnlichen Begierde. Das Original stammt vom dänischen Bildhauer Bertel Thorvaldsen (1770 bis 1844). In Eberbach schmeichelt uns eine Replik des italienischen Künstlers Luis Piazza. Dass Aphrodite einmal im Eberbacher Kurhaus auf der Galerie in einem Blumenbeet stand und 1998 ein Haus weitergezogen ist, ist dem Ende des Heilmittelbetriebes geschuldet. Die Stadtvorderen eliminierten alle geschmackvollen Erinnerungen an die Zeit, als Eberbach noch vom „Bad“ vor dem Städtenamen träumte. Neben dem 50er-Jahre Relief von Schließler-Krösselbach und dem Trinkbrunnen störte offenbar auch die nackte Dame den Umbau der Nierentisch-Vorräume des Kurhauses in ein Allerwelts-Foyer ohne besonderen Stil.

Was die ansehnliche Aphrodite jetzt ausgerechnet im sachlichen Rathaus soll, weiß man nicht so recht. Mit Verwaltung hat die griechische Gottheit
nicht zu tun. Aber im Gemeinderat scheint sie jedenfalls schon lange beliebt gewesen zu sein. Es wird authentisch berichtet, dass sie 1997 ein Stadtrat früherer Amtsperioden, noch am Platz in der Stadthalle, in leicht angeheitertem Zustand umgelegt hat. Die Folge, ein Armbruch, ist inzwischen repariert, kaum mehr zu sehen. So grüßt uns die Nackte mit dem kleinen Apfel unversehrt in der oberen Etage der Bürgermeisterei.

Eigentlich gehört die Eberbacher Aphrodite nach Berlin. Genauer gesagt ins inzwischen wieder aufgebaute Hotel Adlon, im Ostteil der Stadt beim Brandenburger Tor. Denn von dort wurde sie in den Wirren des Zweiten Weltkrieges mitgenommen. Der Generaldirektor des einst jüdischen Unternehmens packte die Statue in eine große Kiste und nahm sie mit auf seine Flucht - zuerst in seine Heimat nach Schlesien, dann ins badische Neckartal. Wahrscheinlich ist Aphrodite so immerhin der Vernichtung entgangen. Das vom Krieg selbst unbeschädigte Berliner Hotel Adlon wurde zur Unterkunft der sowjetischen Besatzungstruppen und brannte im Mai 1945 vollständig aus.

Dass für die Göttin seinerzeit irgendetwas finanziell hinterlassen oder später ausgeglichen wurde, ist nicht belegt. Der Hotelmanager schleppte die Nackte mit nach Eberbach, wo beide nach dem Krieg Unterkunft in der Bussemerstraße fanden. Der Stadt wurde Aphrodite schließlich 1958 ganz offiziell als Geschenk angedient, mit Beschluss des Gemeinderates wurde die Übernahme sanktioniert. Sie war jetzt ein schönes Lockmittel für die aufstrebende Kur.

Es gibt zwar einige Regeln im bürgerlichen Recht, die dagegensprechen, der Eigentumsübergang auf die Stadt sei rechtmäßig gewesen. Andererseits gehört das Berliner Hotel Adlon schon lange nicht mehr seiner ehemaligen Besitzerfamilie, sondern einer internationalen Hotelbetriebs-Aktiengesellschaft. An den Anblick der marmornen Göttin haben sich inzwischen ja auch schon alle gewöhnt. Und die Gemeinderäte werden sie wahrscheinlich auch alle in Ruhe lassen.   


Foto: Rainer Hofmeyer
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