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Dr. Hermann Schmeißer 110. Geburtstag

Er war zwei Mal Eberbacher Bürgermeister - in Diktatur und Demokratie

Hermann Schmeißer wurde vor 110 Jahren geboren – Stadtchef im Dritten Reich und in der Nachkriegszeit

Bürgermeister Dr. Hermann Schmeißer.

Juni 2014
Von Rainer Hofmeyer

Der ehemalige Eberbacher Bürgermeister Dr. Hermann Schmeißer würde dieser Tage 110 Jahre alt. Im Dritten Reich wurde er von der badischen Regierung als Leiter der Stadtverwaltung bestimmt, nach dem Krieg zwei Mal von den Eberbachern demokratisch ins Amt gewählt. Er galt als Bürgermeister des Aufbaus in Eberbach.

Er war zwei Mal das Stadtoberhaupt. Zuerst in der Diktaturzeit des Dritten Reiches 1935 von der badischen Regierung  eingesetzt, nach dem Krieg dann zwei Mal von der Bevölkerung gewählt. Die Eberbacher haben Hermann Schmeißer nie etwas nachgetragen. Als er Ende 1972 das Amt als Bürgermeister aufgab, wurde er sogar zum Ehrenbürger der Stadt ernannt. Auch wenn einige Mitglieder des Gemeinderates, die ihn aus der Hitler-Zeit als strammen SA-Mann in Uniform kannten, von dieser Ehrung nicht begeistert waren.

Was im Dritten Reich ab 1935 alles in seine erste Amtszeit als Bürgermeister fiel, was auch in der Stadt insbesondere in der Reichspogromnacht 1938 gegen die Juden geschah und von der Stadtverwaltung willfährig begleitet wurde - nach dem Kriege redete niemand mehr darüber. Hermann Schmeißer wurde von der Bevölkerung 1954 als Eberbacher Bürgermeister gewählt - mit überwältigender Mehrheit von fast 75 Prozent der Stimmen gegen den ursprünglich 1948 von den Amerikanern eingesetzten, dann einmal gewählten unbelasteten Amtsinhaber Kurt Nenninger (SPD).

Es folgte sogar noch eine unangefochtene Wiederwahl. Schmeißer wurde der Bürgermeister des Aufbruchs und des Aufbaus. Und auch der Versöhnung nach dem Krieg: Die 1961 von Schmeißer angetriebene Städtepartnerschaft Eberbach-Thonon les Bains ist eine der ältesten Deutschlands und wurde schon vor dem deutsch-französischen Elysée-Vertrag geschlossen.

In Schmeißers Zeit als Nachkriegs-Bürgermeister fielen tiefgreifende Änderungen in Eberbach. Kurhaus und Umgehungsstraße B 37 waren die herausragenden optischen Merkmale des Wandels. Es blühte nicht nur die neue Neckaranlage, mit der die Stadt ihr schönes Gesicht zeigt.

Die Kleinstadt nahm jetzt an Bedeutung im Fremdenverkehr zu. Man vermarktete salziges Wasser aus Tiefbrunnen, fühlte sich sogar kurz vor dem Prädikat "Bad Eberbach". Ein Bundesbahn-Sonderzug nach dem anderen von überall in Deutschland machte in Eberbach halt. Der "Luftkurort mit Heilquellen-Kurbetrieb" entwickelte sich zu einem Anziehungspunkt für Wochenendbesucher aus dem ganzen Neckartal bis Mannheim. Die Gäste ergossen sich über die Stadt. Die Gastronomie verzeichnete ihre höchste Zeit.

Eberbach hatte Geld. Fabriken, Handel, Gewerbe und Fremdenverkehr florierten und vertrugen sich blendend. Was unter Schmeißer erreicht oder angeschoben wurde: das neue Hohenstaufen-Gymnasium am Itterberg, der Neubau des Krankenhauses, die neue Neckarbrücke, das Hallenbad und der Umbau des Strandbades, die Steigeschule, die Kläranlage, die Neubauten für Feuerwehr und THW. Und Schmeißers großes Anliegen für die ältere Generation: Das Altersheim, das dann seinen Namen bekam. Schmeißer hatte Ideen und konnte sie energisch umsetzen. Die Verwaltung tanzte nach seiner Pfeife.

Nicht geschafft hat Schmeißer sein letztes großes Vorhaben. Beim Pulverturm wollte er ein neues Rathaus bauen, das fast bis an die Uferstraße gereicht hätte. Im Gegenzug sollte auf der anderen Neckarseite, in der Au, ein weitläufiges Kurzentrum entstehen. Das Amt des Bürgermeisters gab Schmeißer 1973 gerne in die Hände seines von ihm ausgesuchten Nachfolgers, wenngleich Horst Schlesinger mit seiner ersten wichtigen Entscheidung, das Rathaus nicht am Pulverturm zu bauen,  beim "alten Herrn" keine Pluspunkte holte.

Auch die Heilquelle wurde unter Bürgermeister Schlesinger abgedreht. So gut war das Wasser der König-Heinrich-Quelle nämlich keinesfalls. Und auch die Infrastruktur der Hotellerie reichte für einen Betrieb als "Bad" nicht aus.
In Heidelberg geboren

Schmeißer wurde am 21. Juni 1904 in Heidelberg geboren. Sein Vater war Buchbindermeister. Nach dem Abitur studierte Schmeißer Staatswissenschaften, wurde Diplomvolkswirt und promovierte mit dem Thema "Der Gemeindehaushalt der Stadt Heidelberg". Nach zwei Tätigkeiten bei Versicherungen in Berlin, wurde er am 1. Januar 1935, ohne Beteiligung der Bevölkerung, von der badischen Regierung als Eberbacher Bürgermeister eingesetzt. Stadtverwaltung war schon immer seine Neigung gewesen.

Die Anlage des im ganzen Neckartal gerühmten Freibades in der Au im Jahre 1936 fällt in Schmeißers erste Amtsjahre. Der nächste große städtische Bau war die Dr.-Weiss-Schule. Sie wurde im September 1937 eingeweiht. Der Bürgermeister nahm an der Feier in SA-Uniform teil. Schmeißer erklärte später seine Zugehörigkeit zu der NS-Organisation: In der  "Gemeinschaft" der SA habe er "Kameraden aus allen Berufs- und Gesellschaftskreisen gefunden, die nur von der Liebe zu ihrem Vaterland erfüllt waren".

Den Zweiten Weltkrieg erlebte Schmeißer zuerst als kommissarischer Bürgermeister im besetzten Elsaß, dann ab 1941 als Infanterie-Leutnant in Russland und Frankreich. Von 1944 bis 1947 war Schmeißer zuerst in englischer, dann in amerikanischer Gefangenschaft. Per Besatzungsgesetz war er automatisch aus dem Amt des Bürgermeisters entlassen worden. So wurde Schmeißer Buchbinder im elterlichen Heidelberger Geschäft, ehe er 1950 ins Bundesinnenministerium wechselte.

Die Funktion im Ministerium ist eine besondere Erwähnung wert. Schmeißer war stellvertretender Leiter der neuen Bundesanstalt Technisches Hilfswerk (THW). Dorthin geholt von einem Chef, der im Dritten Reich von den Nazis aus seinem Amt entlassen worden war, weil er eine Jüdin zur Frau hatte.

Die Meinung dieses Mannes steht für viele in der Nachkriegszeit: Es war ihm nach eigenen Worten "egal", was Schmeißer im Dritten Reich gewesen war, Hauptsache, er könne ihm beim Aufbau des THW helfen. So ähnlich hat es auch die Eberbacher Bevölkerung mit ihrer Wahl 1954 gehalten. Sie suchte in Schmeißer einen guten und erfolgreichen Bürgermeister in den Aufbau- und späteren Wohlstandsjahren der Stadt. Schmeißers braune Vergangenheit hatten die Eberbacher ausgeblendet; sie kam auch später nie ernsthaft zur Sprache.



Beim Richtfest des nach Dr. Schmeißer benannten und 1972 eröffneten Altersheims.

Bei der Einweihung der Dr.-Weiss-Schule in der Uniform eines SA-Sturmführers, 1937.

Repros: Rainer Hofmeyer
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