Herman(n) Freudenberger war ein deutsch-amerikanischer Wirtschaftshistoriker und Hochschullehrer
Der letzte überlebende Eberbacher Jude
Herman(n) Freudenberger.
Von Raimund Klingbeil
Erst verspätet haben wir im Internet davon Kenntnis erhalten, dass Hermann Freudenberger, ehemals Eberbach, bereits im Februar 2017 in Houston (Texas) verstorben ist.
Kindheit, Emigration und Jugend
Hermann Freudenberger wurde im April 1922 in Eberbach geboren und wuchs in der Hauptstraße auf. Sein Vater war Alfred Freudenberger (1884–1940) , Eisenwaren- und Werkzeughändler wie auch der letzte Synagogenvorsteher von Eberbach. Seine Mutter Frieda Freudenberger geb. Grünebaum (1894–1933) aus Kleinwallstatt (bei Aschaffenburg) ist früh verstorben. Hermann besuchte die Volksschule und anschließend die Oberrealschule (mit Realgymnasium, heute: Hohenstaufen-Gymnasium). Mobbing gab es auch damals schon, hier bei den Kindern der Unterstufe an der höheren Schule, und das offiziell toleriert, wenn nicht gar gefördert.
So zumindest berichtet Ernst Vögt († 1987), ehemaliger Kaplan an der katholischen Stadtkirche, in seinen Erinnerungen:
Hauptlehrer Adam Becker »erzählte mir, wie er – es mag im Jahre 1933 oder 1934 gewesen sein – eines Morgens beim Betreten des Klassenzimmers den Judenjungen Freudenberger, ganz allein in der vordersten Bank sitzend, weinend antraf. Links und rechts und hinter ihm gähnende Leere. Becker: „Was ist da los?“ Und schon kam das „spontane“ Klassengebrüll: „Wir sitzen nicht neben einen Juden. Der stinkt!“ Dem Lehrer kamen fast die Tränen ob solcher Gefühlsrohheit. Sein Versuch, an die Kameradschaftlichkeit und Menschlichkeit zu appellieren, brachte ihm einen scharfen Verweis von Seiten der Partei-Ortsgruppe [der NSDAP] ein.«
Alfred Freudenberger hatte wohl schon geahnt, was ihn und seine Familie unter der nationalsozialisti¬schen Diktatur erwarten würde, und schickte darum seine beiden Kinder auf einen Kindertransport. Mit Hilfe der Deutsch-jüdischen Kinderhilfe (The German Jewish Children’s Aid) kamen Hermann im Dezember 1934 und seine jüngere Schwester Ruth im November 1936 in die Vereinigten Staaten von Amerika. Hermann besuchte damals die Quarta (Kl. 7) im alten Schulgebäude in der Bahnhofstraße, war erst 12 Jahre alt und hat seine Eltern nie wieder gesehen. Der Vater starb im Febr. 1940, er war der letzte Jude, der in Eberbach auf dem jüdischen Friedhof beigesetzt wurde. In den USA wurde Hermann nach mehreren Stationen von der Familie Berolzheimer in Chicago selbstlos aufgenommen. Darüber hat H. Freudenberger auch am 7. Juni 1999 vor Schülern des Hohenstaufen-Gymnasiums in Eberbach referiert.
Die Stiefmutter Johanna Freudenberger geb. Bär (1891–1942) aus Düsseldorf wurde zunächst nach Gurs deportiert (22.10.1940), später in den Osten verschleppt und in Auschwitz ermordet.
Sie schrieb ihrem Sohn schon bald aus dem Deportationslager in den französischen Pyrenäen:
»Nun führen wir schon 14 Tage das Leben hier, nachdem wir aus unserem deutschen Vaterland ohne Vorbereitung plötzlich vertrieben wurden. Deshalb ist es gut, daß der l[iebe] Gott unserem l[ieben] Väterchen dieses Elend erspart hat. Ich bitte Euch aus übertraurigem Herzen, helft mir, helft mir. Schon viele Bekannte sind gestorben. Heute waren 6 Beerdigungen. Das Leben ist nicht mehr lebenswert. Das Schicksal ist grausam. Ich hoffe auf Eure Hilfe u[nd] vertraue auf den l[ieben] Gott. Er hat unsere Vorfahren durch das Rote Meer trockenen Fußes geführt, er wird auch uns Heimatlosen seine Hilfe senden.« (Brief vom 2. Nov. 1940)
Der Sohn hat Geld geschickt. Obwohl H. Freudenberger in einem Textilunternehmen und in einer Fabrik gearbeitet hat (1939–1942), konnte er, sei es aus finanziellen, sei es aus rechtlichen Gründen, da er noch kein US-amerikanischer Staatsbürger war, seine Stiefmutter nicht mehr freikaufen, um sie zu retten und in die Freiheit zu holen.
GI im 2. Weltkrieg
H. Freudenberger wollte amerikanischer GI, ein einfacher Soldat des US-Militärs, im Kampf gegen das Hitler-Regime werden, allerdings wurde er als möglicher Kollaborateur zunächst zurückgewiesen, diente dann aber doch von 1942 bis 1946 in der US-Army. Er kehrte im Frühjahr 1945 als Sergeant (Feldwebel) in seine alte Heimat Eberbach zurück. Ernst Vögt schildert auch diesen Moment: »Er kam wieder im Jahre 1945 als amerikanischer Soldat in einem der ersten Panzer nach Eberbach. Auf dem Marktplatz verschenkte er stangenweise amerikanische Zigaretten. Ob nicht unter denen, welche die Hand zum Nehmen ausstreckten, ehe-malige Mitschüler waren? Auch von der Camel-Zigarette galt auf einmal: Non olet [er/sie stinkt nicht].«
Woher nahm Herman Freudenberger diese Seelenstärke? Solche Großherzigkeit!
Studium und Lehrtätigkeit
Nach Militärdienst und Krieg arbeitete Freudenberger zunächst im Betrieb seiner Pflegefamilie (1946 bis 1949) und studierte dann an der Columbia University in New York, einer der alten Elite-Universitäten. Dort legte er zunächst seinen Bachelor of Science (1950) ab, dann den Master of Arts (1951) und wurde anschließend in Geschichte mit einem Thema aus der Wirtschaft promoviert (1957) . In verschiedenen Stellungen an mehreren Universitäten machte er Karriere, bis er nach New Orleans (LA) an die private Tulane-University berufen wurde (1962), der er 30 Jahre lang treu geblieben ist. Er war Fulbright-Stipendiat in Wien (1953 bis 1955), erhielt im akademischen Jahr 1964/65 Reisekostenzuschüsse für einen Austausch mit der Karls-Universität Prag und war 1974/75 Gastprofessor in Wien. Mit 70 Jahren trat er in den Ruhestand.
Herman Freudenbergers wirtschaftsgeschichtliche Forschungen waren auf die frühe Industrialisierung in Mitteleuropa konzentriert. Dabei bezog er auch allgemeine historische Entwicklungen wie das soziale Umfeld von Arbeitern und Unternehmern, aber auch die staatlichen Vorgaben mit ein. Sein Buch „Von der Provinzstadt zur Industrieregion“, die sog. Brünn-Studie, erschien sogar auf Deutsch (Göttingen 1975).
Seine Schaffenskraft blieb ihm bis ins höchste Alter erhalten und er hat neben elf Buchtiteln noch ungefähr 30 wissenschaftliche Aufsätze geschrieben. Ein erfülltes Forscherleben. Er gehörte in seinen aktiven Jahren wie auch im Ruhestand zu den Stützen seiner Universität in New Orleans.
Würdigung
Herman Freudenberger war bescheiden und familienverbunden auf seine Art, er war gelehrt und geachtet, zählte sogar Nobelpreisträger zu seinen Freunden. Als er im Februar 2017 in Houston starb, ließ er Paulette, mit der er seit 1951 verheiratet war, die beiden Söhne Joseph (* 1961) und Alfred Carl (* 1962) wie auch seine Schwiegertöchter und vier Enkelkinder zurück. Seine Schwester Ruth verh. Heis (New Jersey) war schon zuvor verstorben (* 23.5.1923, † 8.12.2015).
Die beiden Geschwister waren die letzten noch lebenden Juden aus Eberbach. Auch nach der Trennung und dem Verlust seiner Familie hat Herman Freudenberger noch ein langes und erfülltes Leben gehabt. Wir haben ein großes Vorbild verloren.
Quellen
Daxhammer, Rolf: Art. Freudenberger, Hermann; in: Biographisches Handbuch der deutschen wirtschaftswissenschaftlichen Emigration nach 1933, hrsg. von H. Hagemann u. Cl.-D. Krohn. München: Saur 1999, S. 164 f.
Columbia University, Libraries Catalog (CLIO) s. v. Freudenberger, Herman
Vögt, Ernst: Erinnerungen an die Tätigkeit als Kaplan an der Katholischen Stadtkirche Eberbach in den Jahren 1940–1947. In: Eberbacher Geschichts-blatt 88 (1989), S. 116–145, hier: S. 121 f.
Freudenberger, Herman(n): Meine Auswanderung von Eberbach in die USA als Zwölfjähriger. In: Eber-bacher Geschichtsblatt 99 (2000), S. 136–141, hier: S. 140
Nachruf in: The Times-Picayune (New Orleans) vom 15.2.2017
Nachruf der Tulane-University: In memoriam – Herman Freudenberger. Homepage o. J. (2017) Freudenberger, Alfred: E-Mail vom 5.6.2020