Der Eberbacher Androide ist heimisches Kulturgut Der mechanische Musik-Mann steht im Deutschen Musikautomaten-Museum
Felix im Bruchsaler Musikautomaten-Museum. Foto: DMM.
Februar 2012
Von Rainer Hofmeyer
Nicht alles ist verloren. Das Wirtshaus Hirsch am Neuen Markt in Eberbach wurde 1976 abgerissen. Das ursprünglich für eine Wiederverwendung gesicherte Fassadengemälde ist bei der Lagerung unwiederbringlich beschädigt worden. Aber den Felix von der Au gibt es noch, den lebensgroßen mechanischen Musik-Mann vom Wirthaus Hirsch. Unsere Spurensuche um das Phänomen Felix brachte selbst den professionellen staatlichen Volkskundlern überraschende Erkenntnisse.
Der
lange Jahre bei den Eberbachern verschollen geglaubte elektro-pneumatische Trommler
aus dem Gastzimmer ist sogar ganz in der Nähe zu bewundern: Der mechanische Musikus ist süddeutsches Kulturgut und steht inzwischen im Deutschen Musikautomaten-Museum in Bruchsal. Felix von der Aus war übrigens nicht der erste Mann am Klavier im Hirsch. Denn als Teil einer automatischen Bauernkapelle ersetzte der Tambour 1951 einen im Krieg zerstörten Handharmonikaspieler.
Die Einheimischen erinnern sich: Im Wirtshaus Hirsch am Neuen Markt musizierte nach dem Krieg ein Orchestrion, ein Kombinationsgerät, bestehend aus einem mechanischen Trommler in Schwarzwälder Tracht
und einem automatischen Klavier.
Einen Namen hatte der künstliche Musikant auch: Felix von der Au. Woher diese Benennung kam, kann heute niemand mehr genau sagen - einen Bezug zu Eberbach hat sie jedenfalls nicht.
Der propere Androide schien eigentlich genauso verloren wie die anderen Erinnerungsstücke der 1627 erstmals erwähnten Traditionswirtschaft Hirsch. Nach dem Abriss des Hauses 1976
war sogar die vorsichtig abgenommene alte Fassade des Eberbacher Kunstmalers Richard Hembergers bei mehreren Hochwassern im städtischen Bauhof zerstört und nach der Itter-Überschwemmung 1993 beseitigt
worden. Der pfiffige Trommler Felix hatte
aber zum Glück schon vor dem Ende von Karl Kochs Gaststätte seinen Schutz in einem Museum
gefunden.
Das Orchestrion war ein wahres Meisterstück eines Schwarzwälder Tüftlers, ein harmonisches Gefüge von verschiedenen handgewerkelten Einzelteilen. Für den Auftritt des Schlagzeugers und des selbstspielenden Pianos spannte der jeweilige Hirsch-Wirt Notenrollen aus festem Papier ein, die so genannten Programmträger. Hierüber wurden Motor und Stiftwalze, Transmissionsriemen und elektrische Impulse gesteuert. Ein Hammerwerk sorgte für die Klavieranschläge.
Neben den Klimpertönen wurde eine Mechanik in einem Kasten unter dem Musiker aktiviert, die dem Ganzen den richtigen Rhythmus verschaffte. Der automatische Mann spielte beidhändig Schlagzeug, mit den Füßen bediente er eine Basstrommel
und ein doppelschaliges Becken. Bevor er den Mund spitzte und pfiff, hob er sichtbar den Brustkorb. Felix konnte den Kopf bewegen, sogar die Augen verdrehen
und mit den Brauen wackeln.
Das Zusammenspiel mit dem Klavier hinterließ den Eindruck, als würde zumindest ein Musikantenduo
auftreten. Zahlreiche Melodien klangen in der Wirtschaft. Von Madame Butterfly über Geschichten aus dem Wienerwald, Seemanns Los und Gute Nacht mein Liebchen war alles dabei, was das Gemüt der Gäste bewegen sollte. Für besondere Anlässe leierte sogar die Nationalhymne.
Was war denn aus dem Androiden Felix und dem selbstspielenden Klavier geworden?
Für Eberbach vergessen und aus dem Sinn für immer? Bestimmt, hätte nicht der Stammtisch vom Gasthaus Adler
im Jahr 2001 einen kleinen Ausflug ins Deutsche Uhrenmuseum
nach Furtwangen gemacht. Werner Meichelbeck und Hans Nava konnten ihren Augen kaum trauen: Da saß der Trommler aus Eberbach vor ihnen. Schon seit 1968 bis zuletzt 2006
war Felix mit seinem Klavier in Furtwangen. Das Uhrenmuseum hatte ihn als Dauerleihgabe der Familie Koch
erhalten, den letzten Eigentümern des Gasthauses.
Trotz aller Zahnräder, mit Uhren hatte Felix nicht viel gemein, er war ja Musiker. Deshalb hatte ihn das Uhrenmuseum auch schon 2003, nach 35 Jahren treuer Ausstellungsdienste, lieblos ins Depot verbannt.
Der neue Museumsdirektor hatte fachliche Probleme damit, Felix als Uhr einzuordnen.
Auf Initiative von Stefanie Koch, der Tochter des letzten Hirschwirtes Karl Koch, zog Felix im Jahr 2006 zuständigkeitshalber ins Deutsche Musikautomaten-Museum (DMM)
um, zuerst als Leihgabe. Über Mittel des Staatlichen Zentralfonds Baden-Württemberg erworben, bleibt das komplette Eberbacher Orchestrion im Bruchsaler DMM für immer beim staatlichen Eigentümer.
Oberkonservatorin Brigitte Heck, Leiterin des Volkskunde-Referates im Badischen Landesmuseum Karlsruhe, machte sich sogleich an die Historie von Felix von der Au, schrieb sogar eine wissenschaftliche
Abhandlung
über den Eberbacher Trommler und die ihn treibende Mechanik.
Felix von der Au entstammt der Fabrikation mechanischer Werke Ernst Blessing, einem Ein-Mann-Betrieb im badischen Unterkirnach. Dort montierte der weltberühmte Orchestrion-Bauer die Roboter-Kapelle, wie Blessing seine Produkte bezeichnete. Das Herstellungsjahr des elektrischen Klaviers aus Darmstadt wird auf 1930 festgesetzt, so verrät es ein kleines Schild. In das Blessing zugelieferte Piano wurde ein Steuerungssystem der renommierten Leipziger Firma Hupfeld eingebaut.
Brigitte Heck datierte die Fertigung von Felix später als die anderen Teile des Orchestrions, auf "ca. 1952".
Nur um ein Jahr daneben, obwohl Heck die wahre Geschichte des Eberbacher Androiden noch nicht bekannt war. Die anfangs noch rätselhafte Abweichung zwischen dem Alter des Klaviers und dem des Trommlers konnte denn bei den Recherchen auch geklärt werden.
Die Sache ist verblüffend. Eine erst jetzt bei der Recherche wieder aufgetauchte Innenaufnahme aus den 1930er Jahren hat das Denkspiel gelöst. Denn Felix von der Au war nicht der erste Musikant im Wirtshaus Hirsch.
Es gab dort schon seit Anfang der 1930er-Jahre
ein Orchestrion von Blessing. Ursprünglich gehörte zu dem Ensemble aber kein Trommler, sondern ein Harmonikaspieler. Der Akkordeonist wurde
sicherlich1930 von Ernst Blessing gebaut, zeitgleich mit den anderen Teilen des Orchestrions.
Schon ab etwa 1930 hatte also der damalige Hirschwirt eines der berühmten Werkstücke des Schwarzwälder Orchestrion-Bauers Blessing in Betrieb.
Ob der Mann mit der Quetschkommode auch einen Namen trug, ist nicht überliefert. Jedenfalls hatte er gehörig Pech und den Zweiten Weltkrieg nicht überstanden. Der Eberbacher Hirsch bekam einen Bombentreffer ab. Ausgerechnet der Harmonikamann wurde zerstört. Aber Klavier und Antrieb blieben original erhalten.
Erfreulich ist, dass die Hirschwirtsleute den im Krieg demolierten Akkordeonisten von Ernst Blessing durch eine neue Figur ersetzen ließen und damit ein wertvolles süddeutsches Heimatgut erhalten haben. Zum Kuckucksmarkt 1951 trat der Ersatzmann erstmals im Hirschen auf: Trommler Felix von der Au blieb lange die Attraktion im urigen Lokal am Neuen Markt, obwohl sich vor allem mit der Musikbox schon bald eine neue Technik durchgesetzt hatte.
Nach einem kleinen Ausflug mit der Wirtsfamilie Koch von 1965 bis 1968 in die Odenwälder Bauernstube Zum Engel im bayerischen Amorbach,
kam Felix schnurstracks ins Furtwanger Uhrenmuseum. Der letzte Hirschwirt Karl Koch wollte damit auch seinen wertvollen Schatz sichern, dem in den Kneipen verschiedentlich hart zugesetzt worden war.
Die Blessing'schen Bauernkapellen gelten als heimisches Kulturgut.
Es sind weltweit nur noch vier Orchester
übrig geblieben. Felix von der Au und sein Vorgänger haben noch einige Geschwister. Im Schwarzwaldmuseum Triberg
steht seit 1935 eine Bauernkapelle aus Blessings Produktion. Der dortige Schlagzeuger wird von einem Akkordeonspieler begleitet, zudem von einem Schwarzwaldmädel geschmückt. In Florida, USA,
ist eine weitere Bauernkapelle Marke Blessing erhalten geblieben.
Bei den Recherchen zu Felix wurde auch ein wenig Familienzusammenführung geleistet. Durch die EZ erfuhr die Landesoberkonservatorin, dass es im kleinen Museum bei der Altweibermühle in Tripsdrill
seit den 1960er Jahren ein viertes originales Orchester von 1948/49 aus der Fabrikation von Blessing gibt, das früher im Braustüble in Stuttgart stand. Die Drei-Mann-Band rekrutiert sich aus einem Trommler und einem Harmonikaspieler sowie einem Mann am Klavier.
Keiner der anderen Musiker Blessings hatte je eine Kopfbedeckung.
Blieb also die wissenschaftliche Frage, warum ausgerechnet der Eberbacher Felix einen Hut trägt. Den Kopfschmuck deutete die Karlsruher Konservatorin Brigitte Heck in einer Fachzeitschrift treffsicher als "eine freie Zutat". Sie hat inzwischen von der EZ eine ganz banale Bestätigung ihrer Annahme erhalten. Denn es war der Chapeau eines Stammgastes, der dem jungen Felix noch zu Zeiten des alten Hirschwirts Karl Friedrich Koch aufgesetzt wurde.
Der Herrenhut
hat später die Reisen des Trommlers durch die Museen mitgemacht hat. Eine irritierende kleine Eberbacher Nickligkeit, eine Trugspur für die Volkskunde.
Der Eberbacher Androide Felix von der Au hat seinen endgültigen Platz im Bruchsaler Schloss gefunden. Bedauerlicherweise funktioniert das Musikensemble derzeit nicht. Der Trommler selbst ist soweit in Ordnung, aber das Klavier hakt.
Ulrike Näther, Leiterin des Deutschen Musikautomaten-Museums, ist zuversichtlich, dass das Orchestrion bald wieder mit einer der über 60 noch vorhandenen originalen Notenrollen spielen kann.
Von Hirschwirts-Tochter Stefanie Koch
sind 15 noch einmal davon im Jahr 2010 nach Bruchsal expediert worden. Der mechanische Mann aus dem Hirschen freut sich auf seinen neuen Einsatz mit den alten Liedern. Einen Hut muss er korrekterweise bei seinem historischen Spiel nicht mehr aufbehalten.
INFO.
Deutsches Musikautomaten-Museum, Schloss Bruchsal, Schlossraum 4, 76646 Bruchsal, Tel.: 07251/742652, Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag 10 bis 17 Uhr. www.dmm-bruchsal.de
– Bildveröffentlichungen mit freundlicher Genehmigung des Deutschen Musikautomaten-Museums und der Redaktion "Das Mechanische Musikinstrument".
Felix an seinem Platz im Wirtshaus Hirsch.
Die mechanische Trommel-Hand.
Der ursprüngliche Harmonikaspieler im Hirsch wurde bei einem Bombenangriff im Krieg zerstört.
Die Fassade des Hirsch wurde vor dem Abriss gesichert - und ging im städtischen Bauhof unter.
1930. Hier spielte schon das alte Orchestrion mit dem Handharmonika-Mann.
Felix wurde in einem Fachblatt beschrieben.
Die Entdecker des Felix im Uhrenmuseum vom Stammtisch Adler.