Ein deutsch-italienischer Germanist, Dozent und Vortragsreisender
David musste Deutschland verlassen und blieb seiner Heimatstadt bis zuletzt treu
Der kleine Siegfried David im Kreise seiner Familie.
Von Raimund Klingbeil
Sante (Siegfried) David
* 3.4.1908 Eberbach; † 2.12.2007 Florenz
Kindheit, Jugend und Studium
Siegfried David wurde als 10. Kind des Fabrikanten Albert A. David (1857–1935) und seiner Ehefrau Marie David geb. Seeberger (1863–1924) in Eberbach/Baden geboren. Die Großfamilie David gehörte zur jüdischen Gemeinde in Eberbach. Der Knabe besuchte dort die Volksschule und anschließend die 6-klass. Realschule (heute: Hohenstaufen-Gymnasium). Französisch und Englisch waren Pflichtfremdsprachen, Latein gab es nur als Privatunterricht, Abschluss nach Klasse 10 mit einer Prüfung („Einjährigenexamen“). Die Oberstufe wurde von der Stadt privat organisiert (sic!) und S. David legte zu Ostern 1926 mit gerade 18 Jahren das Externenabitur an der Oberrealschule in Heidelberg (heute: Helmholtz-Gymnasium) ab.
Zunächst studierte Siegfried David zwei Semester Rechtswissenschaft und nach einem Studienfachwechsel als sog. Philologe die Fächer Germanistik, Geschichte, Geographie und Volkskunde (Ethnographie) in Heidelberg (3 Sem.), Berlin (1 Sem.), Zürich (1 Sem.) und wieder Heidelberg. Sein Schwerpunkt war die Literatur. Er schloss sein Studium mit einer grundständigen Promotion ab. David wurde am 26. Okt. 1933 an seiner Ruperto-Cárola bei dem Literaturwissenschaftler Max von Waldberg zum Dr. phil. promoviert, und zwar mit folgendem Thema (Titelangabe): August Wilhelm Ifflands Schauspielkunst bis zum Abschluß der Mannheimer Zeit (1796); Rigorosum bereits am 23. Juli 1931.
Emigration, Lehre und Studium, Internierung und Befreiung
Auf Anraten und mit Hilfe seines akademischen Lehrers Eugen J. Fehrle (1880–1957), einem klassischen Philologen und Volkskundler, passionierten SA- und SS-Mann sowie Leiter der Hochschulabteilung im Badischen Kultusministeriums, ist David noch im Oktober 1933 nach Italien emigriert und war Lektor (Dozent) für Germanistik an der „Università degli studi di Bologna“.
In Bologna hat David nochmals studiert und seine Studien mit einer wissenschaftlichen Arbeit (tesi di laurea) über Goethes Jugendlyrik in Literatur und Philosophie abgeschlossen, möglicherweise später auch veröffentlicht; hier der Titel: Goethe come pensatore [Goethe als Denker], Bologna 1946, 27 S. Damit war er berechtigt, den Titel „dottore“, hier „dottore in lettere“ (Doktor der Geisteswissenschaften), zu führen. In Rom legte er 1938 das Staatsexamen, damals nur ein Auswahlverfahren (concorso) für die Zulassung zum öffentlichen Schuldienst, ab. Der Titel „professore“ schließlich ist als Diensttitel, nicht als akademischer Titel zu verstehen.
1938 und in den Folgejahren hat auch das König-reich Italien Rassengesetze erlassen, so dass ausländische Juden (ebrei stranieri) ausgewiesen (Sept. 1938) und alle Juden des Bildungswesens verwiesen wurden (Nov. 1938). Nach Kriegsbeginn am 10. Juni 1940 wurde David dann als „feindlicher Ausländer“ interniert, darauf folgte eine „Verbannung“ mit Residenz- und Meldepflicht. Der offene Vollzug (internamento „libero“) war moderat und die katholische Kirche kümmerte sich auch um die Zivilgefangenen, was er immer dankbar bemerkt hat.
Hier die Stationen, zumeist im schönen Umbrien gelegen:
1. „Campo di internamento di Campagna“ (Prov. Salerno – SA, Golf von Salerno), in einem ehemaligen Kloster, ab 17.10.1940 2. Gemeinde Todi (Prov. Perugia – PG, im mittleren Tibertal) ab 1.8.1941 3. Stadt Città di Castello (PG, im oberen Tibertal) ab 1.5.1943 4. Stadt Umbertide (PG, im oberen Tibertal) ab 18.7. 1943, Befreiung der Stadt durch die Alliierten am 5. Juli 1944; jetzt wieder als ein freier Bürger 5. Gemeinde Todi ab 31.10.1944 (Die Stadt Bologna wurde erst am 21. April 1945 befreit.)
Nach der Befreiung hat sich David den alliierten Streitkräften angeschlossen.
In den Jahren zwischen 1937 und 1946, am ehesten wohl 1944/45, hat er seinen Vornamen von Siegfried in Sante geändert. Im Verzeichnis der Internierten ist er noch als „Dawid, Sigfrido di Alberto, Eberbach, Ebreo tedesco“ geführt.
Lehrtätigkeit und Vortragsreisen
Nach Krieg und Kapitulation entschied sich Sante David für Italien. Er stiftete die Freundschaft zwischen Italia und Germania neu und lebte sie vorbild-lich, als Dozent an der Ausländeruniversität Siena, als Autor zahlreicher Bücher und als Vortragsreisender in Deutschland und Italien, z. B. bei der Società Italo-Tedesca und Società Dante Alighieri, als Fremdenführer und Heimkehrer nach Eberbach. Dort war er oftmals Gast bei seinem Klassenkameraden Gymnasialprofessor Dr. Ferdinand Haag (1907–1976), ob-wohl auch dies historisch nicht unproblematisch. Er hat das bittere Schicksal seiner Geschwister und seine eigene Lebensgeschichte niemals nachgetragen.
In den 70er- und 80er-Jahren des 20. Jahrhunderts hat S. David viele Studienreisen der Volkshochschule nach Italien, vornehmlich in die Toskana, geleitet. Insbesondere haben Bürger seiner Heimatstadt Eberbach an den zeittypischen Busreisen teilgenommen.
Geographisch spannten sich seine Themen von der Toskana bis Venedig und Rom, historisch umfassten sie das Spätmittelalter schwerpunktmäßig die Renaissance sowie den Barock, und inhaltlich die italieni-sche Kunstgeschichte und Literatur. Alle großen Namen waren bei S. David versammelt wie Dante, G. Savonarola und N. Machiavelli, aber auch J.W. v. Goethe oder Shakespeare, die er alle auswendig zi-tierte, ferner Giotto, Donatello, S. Botticelli, Michel-angelo und B. Cellini, deren Werke er auch ohne Lichtbilder lebendig beschreiben konnte. Florenz, die Renaissance und die beiden großen Mediceer Cosimo il Vecchio (1389–1464) und Lorenzo il Magnifico (1449–1492), sein Enkel, waren Glanzpunkte seiner Vorträge.
Werk und Würdigung
Gebildet und beredt, kultiviert und begeisternd lebte S. David den Humanismus des alten Europa (bis ca. 1800) vor, verwandelte sich das Ideal des uomo universale aus der italienischen Renaissance an. Traf sich sein Optimismus mit dem Lebensgefühl des Miracolo economico und des deutschen Wirtschaftswunders? So wurde er zum Vermittler zwischen Italien und Deutschland, von gewachsener Kultur an die Aufbau- und Nachkriegsgeneration seiner Heimat.
David war ein produktiver Autor und hat in gut 40 Jahren über 40 Buchtitel veröffentlicht, z. T. auch als Neuauflage. Das sind überwiegend Wörterbücher und Lehrwerke für Fremdsprachen, Publikationen zur Kultur, insbesondere zu Goethe und Italien, sowie einige Übersetzungen. Seine Beiträge in Zeitungen und Fachzeitschriften sind hierbei nicht berücksichtigt.
Karlheinz Mai, kongenialer Lateinlehrer am Hohenstaufen-Gymnasium Eberbach, hat regelmäßig Studienfahrten nach Rom durchgeführt, und auf dem Rückweg hat seine Schülergruppe immer einen Zwischenhalt in Florenz eingelegt, um sich von einem Ehemaligen die Sehenswürdigkeiten zeigen zu lassen. (1989–1999)
Später nahm das Interesse an seinen Vorträgen allerdings ab, und im Jahr 2002 war S. David das letzte Mal in seiner Heimatstadt Eberbach.
David war auch der letzte Autor, der noch vor 1933 für die alte „Frankfurter Zeitung“ (1856–1943) geschrieben hatte. „Über einen Zeitraum von siebzig Jahren hat er für dies Feuilleton kluge, hochgebildete und sensible Beiträge, Glossen und Beobachtungen geschrieben, die aus tiefer Kenntnis der italienischen Kulturgeschichte schöpften, …“ (Ed. Beaucamp).
Verleihungsurkunde
vom 17. Jan 1982 anlässlich der Verleihung des Ehrenrings der Stadt Eberbach in Silber [Eberbacher Geschichtsblatt 82 (1983), S. 185 f.]:
»Professor Dr. Dr. Sante David wurde am 3. April 1908 als zehntes Kind des Fabrikanten Albert A. David in unserer Stadt geboren. Eberbach war ihm die Heimatstadt seiner Kindheit und Jugend, bis ihn das heraufziehende Unheil der Judenverfolgungen im nationalsozialistischen Hitler-Deutschland 1933 dazu veranlasste, nach Bologna überzusiedeln. Vorher, 1931, hatte er, nach dem Abschluss der Realschule in Eberbach, dem Abitur in Heidelberg und einem Studium in Deutsch, Geschichte und Geographie in Heidelberg, Berlin und Zürich, zum Dr. phil. promoviert.
In Bologna promovierte er mit einer Arbeit über Goethes Jugendlyrik in Literatur und Philosophie zum zweiten Mal und erwarb den Titel eines „Dottore in lettere“. Er wurde an den Lehrstuhl für deutsche Literatur der Universität Bologna berufen. 1938 legte er in Rom das Staatsexamen ab.
Nun erreichten ihn in Italien die Verfolgungen des Mussolini-Faschismus. In den Jahren von 1939 bis 1943 lebte er auf Grund polizeilich verfügten Zwangsaufenthaltes meistens in süditalienischen Gebirgsdörfern. Ab 1943 war er als Dolmetscher der Alliierten Militärregierung tätig, bis er 1945 wieder seine Lehrtätigkeit an der Universität Bologna aufnehmen konnte. Ab 1950 war er lehrbeauftragter Professor [professore incaricato bzw. professore a contratto] an der Universität Siena [eigtl. Università per Stranieri di Siena–Ausländeruniversität].
In den Jahren 1964 und 1965 lehrte er als Gastprofessor an der Universität Buffalo/USA [State University of New York at Buffalo].
Neben seiner Lehrtätigkeit war er auch freier Mitarbeiter im Feuilleton deutschsprachiger Zeitungen [u. a. FAZ] und Mitherausgeber der in Tübingen er-scheinenden Zeitschrift „Germanistik“ [Max Niemeyer-Verlag, 1960 ff.].
Prof. David ist Autor mehrerer für den Deutschunterricht in Italien bestimmter Bücher, und viele seiner Vorträge, die er vor italienischen und ausländischen kulturellen Vereinigungen hielt, erschienen im Privatdruck.
Heute lebt Prof. David zusammen mit seiner Frau, der Italienerin Maria Clelia Salvi, an einem der Nordhügel über Florenz [im Ortsteil Trespiano]. Sein gastliches Haus ist im Lauf der Jahre für viele Florenzbesucher, auch aus Deutschland, zu einer persönlichen Begegnungsstätte mit ihm, seiner Familie und seinen Freunden geworden.
Prof. Sante David wurden in Würdigung seiner Verdienste um das kulturelle Erbe in der Literatur und Kunstgeschichte und seiner im humanistischen Geist gebildeten edlen Persönlichkeit hohe Ehrungen zuteil: Das Große Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland [4. Stufe, d. h. Komtur], der Orden des Cavaliere Ufficiale der Republik Italien [2. Stufe, d. h. Ordensklasse des Offiziers], die Ehrenmitgliedschaft in der deutsch-italienischen Gesellschaft.
Wenn seine Heimatstadt ihm heute den Ehrenring [in Silber] verleiht, so soll damit seine Persönlichkeit geehrt und sein kulturelles Wirken gewürdigt werden. Stellvertretend für alle ehemaligen jüdischen Mitbürger wollen wir ihm aber auch mit dieser Ehrung unsere Dankbarkeit dafür bezeugen, wieder zu uns gekommen zu sein und uns spüren zu lassen, daß der Geist der Aussöhnung zwischen Juden und Deutschen lebendig ist und uns einander näher bringt. Eberbach, 17. Januar 1982 Horst Schlesinger
[ Bürgermeister 1973–1996]«
Im Jahr 2002 ehrte die Stadt Eberbach ihren Sohn noch mit dem Goldenen Ehrenring.
David verstarb im biblischen Alter von fast 100 Jahren in Florenz.
Ehrungen
– 1976: Großes Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland (am Halsband) – vor 1982: Ufficiale Ordine al Merito della Repubblica Italiana (am Bande) – vor 1982: Ehrenmitglied der Deutsch-Italienischen Gesellschaft (Società Italo-Tedesca) – 1982: Ehrenring der Stadt Eberbach in Silber – 1995: Accademico d’Onore della „Accademia delle Arti del Disegno“ (Firenze) – 2002: Ehrenring der Stadt Eberbach in Gold
Erinnerungen in Eberbach
Marie David, die Mutter von S. David, ist auf dem jüdischen Friedhof in Eberbach beigesetzt. Auf ihrem Grab liegt noch ein kleiner Gedenkstein für fünf sei-ner in der Schoah ermordeten Geschwister: Oskar (* 1887, † Auschwitz), Hedwig (* 1893, † Auschwitz), Sophie (* 1894, † Auschwitz), Binchen (* 1897, † Auschwitz) und Ludwig (* 1898, † o. O.). Der Vater Albert A. David ist auf dem jüdischen Friedhof in Mannheim, Neckarstadt-Ost beigesetzt. Die anderen Geschwister Wilhelm (Israel), Martha (Frankreich), Johanna und Felice (beide Schweiz) haben den Holocaust überlebt.
In Eberbach ist seit 2018 eine Straße nach Sante David benannt.
Quellenverzeichnis
- Catalogo del Servizio Bibliotecario Nazionale (OPAC–Online Public Access Catalogue SBN) s. v. Da-vid, Sante bzw. Siegfried - Fondazione Centro di Documentazione Ebraica Con-temporanea (Milano): Ebrei stranieri internati in Italia (1940–1943), ↑Dawid (Stand: März 2020) - Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933. München: Saur 1983 (kein Eintrag!) - Haag, Ferdinand: Geschichte der Oberrealschule Eberbach. Eberbach: Wieprecht 1933 (S. 22 f.) - David, Siegfried: Wilhelm Ifflands Schauspielkunst bis zum Abschluß der Mannheimer Zeit (1796) Bruchsal: J. Kruse & Söhne, Buchdruckerei 1933. 64 S. (Teildruck) – Heidelberg, Universität, Phil. Diss. vom 26. Okt. 1933 (Lebenslauf auf S. 64) - David, Prof. Dr. Dr. Sante, in: Eberbacher Ge-schichtsblatt 82 (1983), S. 185 f. (Ehrenring in Silber, 17.1.1982) - David, Prof. Dr. Dr. Sante, in: Ebb. GBl. 102 (2003), S. 255 f. (Ehrenring in Gold, 11.10.2002) - E.B. [Eduard Beaucamp]: Iffland und Vasari, Siebzig Jahre Feuilleton: Zum Tod von David Sante [sic!], in: Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 21 vom 25.1.2008, S. 40 - (Nachruf:) Ebb. GBl. 107 (2008), S. 172 f. (Totenliste) - Mdl. Berichte älterer und jüngerer Eberbacherl
Literaturhinweise
Verwiesen sei auch auf die Personenartikel bei Alemannia Judaica unter dem Stichwort Eberbach. (In dem Beitrag nach unten scrollen.) Es handelt sich um die folgenden ehemaligen jüdischen Mitbürger:
- Sante David (1908 - 2007; Beitrag wie hier): Dokument aber als pdf-Datei - Alfred Wolf (1915 - 2004; Theologe): 3 Dokumente (Nachruf, Tabellarischer Lebenslauf, Bibliographie) als pdf-Dateien - Herman(n) Freudenberger (1922 - 2017; Wirtschaftshistoriker): Dokument (Lebenslauf) als pdf-Datei
Weiteres zur jüdischen Geschichte von Eberbach findet sich auch beim Leo Baeck Institute, New York. Die Navigation ist allerdings schwierig und erfordert etwas Geschick.