Kein Eberbacher Jude entkam den Vernichtungslagern Die meisten Israeliten gab es um 1900 in Eberbach – 1940 nach Gurs deportiert
Kellereistraße: Rechts Gemischtwarenhandlung Marx David, später Adolf David - in der Reichspogromnacht demoliert.
September 2013
Von Rainer Hofmeyer
Vor 1933 waren die Juden ein anerkannter wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Faktor in Eberbach. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten war ihr Schicksal bis hin zur Vernichtung besiegelt.
Am 8. Februar 1940 starb der Jude Alfred Freudenberger
im Alter von 55 Jahren in Eberbach. Er betrieb einen Laden in der Hauptstraße, Kreuzung Obere Badstraße. In der Reichskristallnacht, am Morgen des 10. November 1938,
hatte er als Synagogenvorsteher den Schlüssel zum jüdischen Gotteshaus an die SS herausgeben müssen, musste er mit ansehen, wie man das kleine Gebäude in der Brückenstraße in Brand steckte. Freudenbergers eigenes Geschäft, eine Eisenwarenhandlung, wurde in jener Nacht ebenfalls schwer demoliert.
Als jetzt kaum mehr als ein Jahr nach dem Anschlag Freudenbergers Sarg mit einem Pferdefuhrwerk an seinem Wohnhaus abgeholt wurde, johlte die herumstehende Menge.
Es waren keine Jubelrufe, es war eher abfällig gemeint. Und es waren nicht etwa nur SS-Leute oder SA-Männer in Uniform oder in Zivil. Es waren grölende Zuschauer aus der Bevölkerung, zwar nicht sehr viele, aber es gab sie. Eine Zeitzeugin
denkt heute noch an diese schockierende Situation. „Es waren sogar Geschäftsleute dabei“, ihre Namen will sie nicht nennen. Alfred Freudenberger wurde auf dem jüdischen Friedhof am Ohrsberg beigesetzt.
Die Nazis hatten ab 1933 den Hass gegen die Juden auch in Eberbach auf einen Höhepunkt getrieben. Die Juden waren im 19. Jahrhundert, im liberalen Großherzogtum Baden, zu gleichberechtigten Bürgern geworden,
als emanzipierter Teil der Eberbacher Bevölkerung. Sie waren in Vereinen und städtischen Gremien vertreten, hatten ihre Geschäfte, hatten ihre Kundschaft aus allen Schichten.
Die Juden fühlten sich als Deutsche,
sie nahmen am Ersten Weltkrieg teil. Von den 24 jüdischen Eberbacher Kriegsteilnehmern sind drei gefallen.
Neun wurden mit dem Eisernen Kreuz für Tapferkeit geehrt. Und eben jener Alfred Freudenberger erhielt als Soldat bei den Schutztruppen in Übersee sogar den Pour-le-Merite-Orden, die bedeutendste militärische und zugleich zivile Auszeichnung.
Seit dem 14. Jahrhundert
gab es nachweislich Juden in Eberbach. Landesherr Ruprecht der Ältere stellte dem Eberbacher Juden Lazron 1380 einen Schutzbrief
aus. Unter Ruprecht II. wurden 1391 sämtliche Juden aus der rechtsrheinischen Kurpfalz vertrieben. Später, 1743, wird wieder über einen Juden namens Löw Moyses in Eberbach berichtet. In der folgenden Zeit waren teilweise nur zwei, drei jüdische Familien hier beheimatet. Im Jahr 1900 stand die jüdische Gemeinde in Eberbach in ihrer ganzen Blüte.
Auf dem Zenit war die Höchstzahl von 138 Mitgliedern
notiert. In einigen städtischen Gremien Eberbachs waren Juden überproportional vertreten.
Dem städtischen Bürgerausschuss gehörten nicht weniger als acht an. Im Odenwaldklub, im Roten Kreuz und im Verkehrsverein konnten sich Juden frei betätigen. Hingegen waren die Rudergesellschaft und der evangelische Liederkranz für sie tabu.
Von 1914 bis 1924 fungierte der Jude Alfred Blum als Eberbacher Bahnhofsvorstand. Eine lokale Schlüsselposition sondergleichen. Ganze 38 Jahre lang war Benjamin Levy in herausragender Position beim Eberbacher Deutschen Roten Kreuz, zuletzt sogar Transportführer. Die Nazis verboten ihm gleich im Jahr der Machtübernahme 1933 die Mitgliedschaft, er verlor alle Ämter. Zahlreiche jüdische Geschäfte waren bis in die Nazi-Zeit in der Stadt ansässig.
Kellereistraße, Obere Badstraße und Hauptstraße - mitten drin im damaligen geschäftlichen Radius waren die Juden mit ihren Läden. Die jüdischen Geschäfte hatten einen guten Ruf. Textilien und Manufakturen seit 1919 bei Levy & Wolf in der Oberen Badstraße 18, dann Hausnummer 14. Adolf David mit seinem Gemischtwarenladen in der Kellereistraße 9. Aron David, genannt „Zick“, hatte sein Schuhgeschäft in der Hauptstraße 14. Und eben Alfred Freudenberger mit seiner Eisenwarenhandlung, seit 1881 im Besitz der Familie, inzwischen führend in der Branche, es wurde in die ganze Umgebung geliefert.
Mehrere jüdische Metzgereien verzeichnete die Stadt.
Moses Ottenheimer, Ferdinand Bär in der Kellereistraße 4 bzw. 26. In der Backgasse 1 schlachtete Israel Mayer koscher, nach den jüdischen Speisegesetzen. Das Ritual des Schächtens hielt auch christliche Metzger nicht ab, für die jüdischen Mitbürger zu liefern. Zwei nichtjüdische Fleischer ließen wöchentlich von jüdischen Schächtern schlachten.
Es gab die Viehhändler Jakob und Siegfried Götz, Vater und Sohn, und Selig Seligmann. Albert David handelte in der Güterbahnhofstraße 10 mit Schmierölen und -fetten. Nicht unbedingt böse gemeint war wohl die damit zusammenhängende Bezeichnung „Schmierjud‘“. Aus dieser Familie entstammte Sante (Siegfried) David. Makabre Geschichte des Hauses der Davids: Es wurde 1930 verkauft und war danach SS-Heim.
Die Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938
änderte alles im Leben der Eberbacher Juden. Einige ihrer Läden wurden zerstört.
Ihre Einzelhandelsgeschäfte
mussten sie danach aufgeben,
Inventar und Lagerbestände gingen zum Spottpreis an „arische“ Ladeninhaber.
Innerhalb von vier Jahrzehnten, vom Höhepunkt mit 138 Gemeindemitgliedern bis zum Jahr des Todes von Alfred Freudenberg im Jahr 1940, ging die Zahl der Juden in Eberbach stetig bergab.
Die meisten waren in die Großstädte abgewandert, überwiegend aus wirtschaftlichen Gründen. Jeder dritte badische Jude lebte inzwischen in Mannheim. 15 Eberbacher Juden gelang zwischen 1936 und 1939 die Auswanderung in die USA und Argentinien.
Zuletzt waren noch 17 Juden in Eberbach.
Aber auch deren Schicksal hatten die Nationalsozialisten besiegelt. Am 15. Oktober 1940 ordneten der aus Lindach stammende Gauleiter von Baden und Reichsstatthalter Robert Wagner und der saarpfälzische Gauleiter Josef Bürckel die Ausweisung aller in ihrem Gebiet lebenden Juden
in das zu der Zeit noch unbesetzte Südfrankreich an.
Die 17 Eberbacher Juden
wurden eine Woche später, am 22. Oktober 1940,
beim damaligen Rathaus am Alten Markt zusammengetrieben. Sie wurden auf einen Lastwagen gepfercht und nach Heidelberg transportiert. In Sonderzügen ging es in rund 70-stündiger Fahrt mit den anderen Juden der Region ins damals noch unbesetzte Lyon. Die französische Regierung in Vichy verlegte sie danach nach Gurs.
Reichsstatthalter Robert Wagner
erklärte das Eigentum der Verbannten als dem Land Baden verfallen. Das von den Eberbacher Juden zurückgelassene Hab und Gut wurde auf unmittelbare Anordnung des Landratsamtes mehrere Tage lang in der städtischen Turnhalle versteigert.
An diese Situation können sich noch einige Eberbacher erinnern, sie waren seinerzeit noch Kinder. Besonders schauerlich: Die städtische Turnhalle beim Bahnhof diente von 1897 bis 1913 der jüdischen Gemeinde als Betsaal, ehe die kleine Synagoge nahe der Brücke am 19. September 1913 feierlich eingeweiht wurde.
Gurs in Frankreich war kein sicheres Lager. Über 6500 badische, pfälzische und saarländische „Volljuden“ waren im Camp de Gurs untergebracht. Sechs Eberbacher Juden starben dort, der 82-jährige Aron „Zick“ David eine Woche nach seiner Ankunft.
Drei aus Eberbach stammenden Insassen gelang es zwar, sich über Marseille in die Vereinigten Staaten zu retten.
Als aber im Herbst 1942 der Süden Frankreichs von deutschen Truppen besetzt wurde, verschickte man auch die in Gurs verbliebenen acht Eberbacher Juden zuerst wieder zurück ins Reich, dann weiter in die Vernichtungslager im Osten. Keiner der dorthin deportierten Eberbacher Juden hat die nationalsozialistische Vernichtungsmaschinerie überlebt.
INFO.
Die Geschichte der jüdischen Gemeinde in Eberbach, Helmut Joho, Eberbacher Geschichtsblatt 1989.
Der Vorhof zur Hölle Im französischen Camp de Gurs wurden 1940 die südwestdeutschen Juden interniert
Von Rainer Hofmeyer
Gurs – das ist der Ort, der 1940 für Eberbacher Juden und die anderen Israeliten aus Südwestdeutschland der Vorhof zur Hölle wurde. Es ist der Name, der sich im Gedächtnis der Stadt eingeprägt hat. Am Lauer bei der Binnetzgasse steht ein Gedenkstein, der auf das Lager hinweist. Camp de Gurs in den französischen Pyrenäen war bereits vor dem Zweiten Weltkrieg eingerichtet worden. Interniert wurden zuletzt Gefangene aus dem spanischen Bürgerkrieg. Die Verwaltung des Lagers lag durchgehend in der Hand der Franzosen. 1940 war es bereits weitgehend geräumt. Die Holzbaracken begannen zu verfallen.
Im Waffenstillstandsvertrag vom 22. Juni 1940 mit Frankreich war festgelegt worden, dass französische Juden
aus den von Deutschland besetzten Landen Elsass und Lothringen in den unbesetzten Teil Frankreichs abgeschoben
werden durften, also in den Süden.
Widerrechtlich
überdehnten der Gauleiter von Baden, Robert Wagner, und der Gauleiter der Saarpfalz, Josef Bürckel,
diese Vertragsklausel und wiesen alle in ihren beiden reichsdeutschen Gauen lebenden Juden aus.
Später meldeten die beiden Reichsstatthalter stolz dem „Führer“, dass ihre Länder als erstes in Deutschland „judenfrei“seien.
In generalstabsmäßig vorbereiteten Aktionen wurden am 22. Oktober 1940,
dem Tag des jüdischen Laubhüttenfestes, über 6500 Juden aus Baden, der Pfalz und dem Saarland
zusammentreiben und mit Straßen- und Schienentransporten ins südfranzösische Lyon verbracht. Mannheim, Heidelberg, Karlsruhe, Baden-Baden, Freiburg und Konstanz waren die Ausgangspunkte der bis zu 70-stündigen Strapazen. Aber das Schlimmste sollte dann noch folgen.
Die französische Regierung in Vichy
wird von den Deportationen am 22. und 23. Oktober völlig überrascht. Daher waren auch keine Vorkehrungen für die Unterbringung der mehr als 6.500 Menschen getroffen. Man fordert folglich die rasche Rückführung der eigenmächtig nach Frankreich verbrachten Personen: "Die französische Regierung kann diesen Ausländern nicht länger Asyl gewähren. Sie beantragt dringendst, dass die Reichsregierung unverzüglich die erforderlichen Maßnahmen trifft, damit die Betreffenden nach Deutschland zurückbefördert und die während des Aufenthalts in Frankreich verursachten Auslagen zurückbezahlt werden“, berichtet dem Auswärtigen Amt ein deutscher Diplomat von der Haltung der Vichy-Regierung. Das Deutsche Reich reagiert nicht.
Die von den Gauleitern verfügten Maßnahmen waren mit Adolf Hitler und SS-Führer Heyderich abgestimmt. Die französische Regierung verlegt daraufhin die ungewollten badischen, pfälzischen und saarländischen Juden in das Internierungslager Gurs. Das Lager stand weiter ausschließlich unter der Leitung der Franzosen. Der Lagerkommandant überließ die Juden ihrem Schicksal.
Gurs war kein Vernichtungslager, aber die äußeren unerträglichen Umstände machten es zu einem Ort des Sterbens. Es gab weder eine Lagerküche, noch waren sanitäre Einrichtungen vorhanden. Die Holzbaracken hatten keine Fenster, nur Holzklappen. Und der Winter 1940
stand noch bevor. Keine Unterkunft hatte auch nur irgendeine Einrichtung. Alle mussten anfangs auf dem blanken Boden schlafen, erst später gab es einen Sack Stroh als Unterlage.
Es herrschte Hunger. Gleich in den ersten Wochen starben viele. Dann kam langsam spärliche Hilfe von außen. Das Rote Kreuz unterstützte mit Lebensmitteln, ebenso amerikanische Quäker. Einigen wenigen Juden gelang ab 1941 über internationale Hilfsorganisationen und persönliche Kontakte die Ausreise in sichere Drittländer, darunter drei Eberbacher.
Insgesamt sind in Gurs rund 2000 Menschen umgekommen.
Am 22. Januar 1942
wurde die massenhafte Vernichtung der Juden mit den Beschlüssen der „Wannsee-Konferenz“
entschieden. Als Deutschland 1942 auch den Süden Frankreichs besetzte, wurden die Juden aus Gurs zuerst ins Reich verbracht und dann in die Vernichtungslager im Osten. Neun Eberbacher Juden, die die schlimme Zeit in Gurs überlebt hatten, wurden auf den Weg in ihren Tod geschickt. Das Ziel hieß Auschwitz und Theresienstadt.
Das Lager Gurs in Südfrankreich.
Schuhhändler Aron „Zick“ David mit Frau Karoline und Tochter Flora. Aron David starb nach einer Woche in Gurs.
Stolpersteine: Gedenken an die Familie David.
Jüdische Geschäfte in Eberbach werden enteignet.
Erinnerungen an das Lager Gurs und die frühere Synagage bei der Binnetzgasse.