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60 Jahre Baden-Württemberg

Die Eberbacher waren stets dafür

Das Bundesland Baden-Württemberg wird heute sechzig – Zahlreiche Volksabstimmungen pro Südweststaat

Großes Landeswappen.

25. April 2012
Von Rainer Hofmeyer

Sechzig Jahre alt wird heute Baden-Württemberg. In Eberbach stehen keine Veranstaltungen zum Lobe des Südweststaates an. Warum auch: Landespolitik spielt für die Kleinstadt um Ottohöhe und Ohrsberg keine große Rolle, man wartet offiziell eher auf 75 Jahre neues Bundesland. Dann werden aber immer weniger Zeitzeugen berichten können. Wir zeigen, wie die Neckarstädter zu Baden-Württemberg standen.

Das Land Baden-Württemberg wird am 25. April 1952 gegründet. Das ist keine schnelle Sache. Schließlich ist da schon seit 23. Mai 1949 das Grundgesetz in Kraft, das die Neugliederung der drei süddeutschen Länder Baden, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern festlegt.  Die Varianten Baden und Württemberg mit Hohenzollern als zwei getrennte Länder sind mögliche Optionen, ebenso ein gemeinsamer Südweststaat. Erbitterte Auseinandersetzungen zwischen Altbadenern und den Anhängern eines Zusammenschlusses prägen den Weg zum neuen Bundesland.
Die Kriegsfolgen haben Eberbach zur amerikanischen Zone Württemberg-Baden geschlagen, das selbst in einen Landesbezirk Baden und einen württembergischen Teil zerfällt.

Es gibt mehrere Abstimmungen in der südwestdeutschen Bevölkerung, ehe es zum großen Zusammenschluss kommt. Der Eberbacher Gemeinderat macht sich von Anfang an eindeutig für einen neuen "Südweststaat" stark. Dieser Begriff ist vorerst nur ein Platzhalter für ein neues Land, dessen endgültige Bezeichnung erst später in der Landesverfassung festgelegt werden wird. Da gibt man dann im Doppelnamen "der Dame Baden" den Vorzug.

Bei einer Vorabstimmung über die Einrichtung eines neuen Landes am 24. September 1950 gibt es in Eberbach nicht unbedingt eine überwältigende Beteiligung. Die Alternative: Südweststaat oder Baden. 58 Prozent der berechtigen Eberbacher geben ihre Stimmzettel ab. Davon sind 2 908 für das neue Land, 1 176 wollen lieber separierte Badener bleiben.

Eberbach hat schon mit Baden gar nicht so viel emotionale Bindung, geschweige denn mit Württemberg. Knapp 145 Jahre Baden sind im Bürgerbefinden nichts gegen 470 Jahre Zugehörigkeit zur Kurpfalz seit 1330. Die Gegend ist  erst 1806 zum Großherzogtum geschlagen worden, von 1803 bis 1806 gibt es sogar eine kurze Episode unter dem Fürsten zu Leiningen. Und so ist natürlich bei den lokalpatriotischen Odenwäldern nicht so viel Fanatismus für ein einzig Baden feststellbar wie in der Altbadener Region um Karlsruhe und Baden-Baden.

Vor der entscheidenden Volksabstimmung am 9. Dezember 1951 wird überregional ein hitziger Kampf zwischen Befürwortern und Gegnern des geplanten Südweststaates geführt. Beim Urnengang votieren die Wähler in beiden Teilen Württembergs aufaddiert mit 93 Prozent  für den Zusammenschluss, in Nordbaden mit 57 Prozent pro, während in Südbaden nur 38 Prozent dafür sind. Hätte das Ergebnis in Gesamtbaden gesondert gezählt, so hätte sich eine Mehrheit von 52 Prozent für eine Wiederherstellung des separaten Landes Baden ergeben.

Immerhin über 64 Prozent der Eberbacher Wahlbürger gehen an diesem 9. Dezember 1951 zur Entscheidung,  3 437 Stimmen zählen für Südwest, 1 213 sind für die Wiederherstellung der alten Länder. Doch das ist noch nicht das letzte Votum zur Frage Baden-Württemberg.

Bei der Wahl zur verfassungsgebenden Landesversammlung hat Eberbach 7 413 Wahlberechtigte, nur 4 957 gehen ins Wahllokal. Die SPD siegt mit 1 571 Stimmen, die Sozialistische Reichspartei  erhält als Zweiter  1185, die CDU 947, DVP 455, DGBHE 355, der "Bund Heimatvertriebener und Entrechteter Kraft"  188 und die KPD 204.

Der Heimatbund Badnerland lässt aber auf Landesebene nicht locker. Das Bundesverfassungsgericht ermöglicht noch einmal eine Volksabstimmung, und zwar nur für die Bevölkerung im alten Land Baden. Diese wird am 7. Juni 1970 durchgeführt und ergibt mit 81,9 Prozent Zustimmung zum Verbleib im gemeinsamen Land Baden-Württemberg. 
In Eberbach ist in diesem inzwischen dritten Urnengang die Zustimmung zum neuen Bundesland Baden-Württemberg noch überwältigender als zuvor:  5 720 Eberbacher Wähler wollen Baden-Württemberger bleiben, nur 476 Stimmen gibt es für ein separates Baden. Es sei vermerkt, dass bei dieser Abstimmung zum ersten Mal bereits 18-Jährige ins Stimmlokal gehen durften.

Wenn heute Baden-Württemberg 60 wird, dann ist die Landesebene für die Eberbacher mental doch recht weit weg. Hier ist man im Kopf erst mal Eberbacher, dann vielleicht kommt die Kurpfalz oder Baden - und noch weiter hinten noch das dazugewählte Württemberg. Der mit der Zeit immer stärker verspürte schwäbisch-württembergische Einschlag in Regierung und Parlament ist am Neckarknie jedenfalls bis heute nicht mit hohen Sympathiewerten belegt.



Eberbacher Jahre zwischen Baden und Südweststaat
Die Demokratie kommt erst langsam in Tritt – Hunderte Vertriebene werden aufgenommen

Bis zur Gründung  von Baden-Württemberg im Jahr 1952 haben die Eberbacher erst einmal die Kriegsfolgen zu bewältigen. Ab dem 31. März 1945 ist Eberbach unter amerikanischer Besatzung. Vier Tage später wird durch die Militärregierung ein Bürgermeister bestimmt. Es wird ein provisorischer Gemeinderat gebildet. Die neue Demokratie kommt erst ganz langsam in Gang. Der Bürgermeisterposten wird vier Mal neu besetzt, sieben Gemeinderäte müssen als ehemalige Parteigenossen das Gremium verlassen.

Ende Januar 1946 dürfen die Eberbacher einen Gemeinderat wählen: Die Sozialdemokraten bringen es auf vier Sitze, die CDU auf drei, die Demokraten auf zwei, und die Kommunisten ziehen mit einem Mann ins Stadtparlament. Die Gemeinderäte tagen fast ununterbrochen, meist "geheim". Die heranziehenden Flüchtlinge sind unterzubringen. Zahlreiche Bauvorhaben von Siedlergemeinschaften und Hilfswerken werden auf den Weg gebracht. Die spärlich vorhandenen Waren müssen verteilt werden. Es wird noch nach dem Karten- und Punktesystem aus Kriegszeiten gerechnet.

Straßen mit den falschen Namen aus vergangenen Jahren werden umbenannt. Am 15. März 1946 wird per Gemeinderatsbeschluss unter anderem Adolf Hitler und dem badischen Gauleiter Robert Wagner die Ehrenbürgerschaft der Stadt Eberbach aberkannt. Im Juni 1947 gibt es die erste Gemeinderatssitzung, bei der auch die Öffentlichkeit dabei ist. Der zunächst kommissarisch eingesetzte Bürgermeister Kurt Nenninger wird Anfang Februar 1948 mit knapp 3 000 Stimmen der Eberbacher in seinem Amt bestätigt.

Eberbach hat jetzt knapp 11 000 Einwohner. Über 560 Eberbacher Soldaten sind gefallen oder vermisst. Nahezu 2 000 Vertriebene werden bis 1952 bei den örtlichen Behörden registriert, vornehmlich aus dem Sudetenland und aus Ungarn. Wer nicht weiterzieht, braucht Wohnraum. Am Ledigsberg entstehen die ersten Siedlungshäuser der Neuen Heimat und der Heimstätte, in der König-Heinrich-Straße baut das Evangelische Hilfswerk, und in der Eiswiese werden einfache Wohnblöcke hochgezogen. Die Aufnahme der Vertriebenen, ihre Integration in den städtischen Alltag bis hin zur Übernahme demokratischer und sonstiger Führungsfunktionen verläuft nicht immer ganz reibungslos. Im Jahr 1948 werden sechs Heimatvertriebene in den Gemeinderat gewählt.

Die Jahre bis 1948 sind die schlimmsten. Schwarzmarkt und illegaler Tauschhandel bestimmen den Alltag. Die Polizei wird schon im Laufe 1946 als Abteilung der Stadt aufgebaut, nach amerikanischem Vorbild. Die Männer in Blau haben gehörig zu tun. Not macht erfinderisch, aber auch in gewisser Weise kriminell. In der Ernährungs- und Wirtschaftsstelle wird eingebrochen. Eine große Menge Lebensmittelkarten wird geklaut.

Auf der Jungviehweide im Ittertal holt sich eine Bande sechs Rindviecher und schafft sie mit einem Lastwagen fort. Und weil es noch nicht schlimm genug sein soll: Ein Riesenhochwasser überschwemmt im Dezember 1947 die Altstadt, Wasserstand 8,90 Meter, Schaden eine halbe Million Reichsmark. Erst mit der Währungsreform am 21. Juni 1948 ändern sich die Verhältnisse schlagartig. Lebensmittel werden nicht mehr zugeteilt, sondern frei verkauft.

Die schwarzen Fahrzeug-Kennzeichen der wenigen Eberbacher Autos führen zwei kleine Buchstaben vorweg: AW für "Amerikanische Zone Württemberg-Baden".  Die Besatzungsgrenze verläuft parallel zur Reichsautobahn Karlsruhe-Stuttgart, der heutigen A 8. Nördlich davon amerikanisch, südlich davon französisch. Im Norden der Süddeutsche Rundfunk, im Süden der Südwestfunk - die Besatzungsmächte bestimmen auch die Kultur im Nachkriegsdeutschland.
Feiern dürfen die Eberbacher in den Jahren von Kriegsende bis Südweststaat fast schon in gewohnter Weise.

Im August 1946 findet wieder ein Kuckucksmarkt statt, drunten am Neckar-Lauer. Im Januar 1948 gründen sich die Kunstfreunde Eberbach. Auch das Volktheater spielt seit April 1948 wieder, in der umgebauten alten Turnhalle, wo heute Neckardraht seine Halle stehen hat. Die Karnevalsgesellschaft Kuckuck wiederbelebt sich zum Februar 1949. Der Verkehrsverein veranstaltet im Sommer 1949 ein Burgfest mit "Götz von Berlichingen".

Gliederung des Landes bis 1952.

Briefmarke 1952.

Fotos: Rainer Hofmeyer
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