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Klostergründer Konrad Beisel

Ein frommer Charismatiker auf der Suche nach Gott

Vor 250 Jahren starb Konrad Beisel: Der Bäckermeister wanderte einst aus Eberbach nach Amerika aus und gründete in Pennsylvania das Kloster Ephrata

Dieser Scherenschnitt ist das einzige heute noch erhaltene Abbild von Konrad Beisel.

17. November 2018
Von Raimund Klingbeil

In der Kellereistraße, beim Thalheim’schen Haus stand früher das Backhaus der kurpfälzischen Stadt Eberbach. Dort wurde am 1. März 1691 Georg Konrad Beisel geboren. Seine Mutter Anna, geb. Köbler, stammte aus Untersensbach, und sein Vater Sebastian war schon gestorben. Mit acht Jahren verlor Konrad auch seine Mutter und wurde von seinen älteren Geschwistern großgezogen. 

Aus einer Bäckerfamilie stammend, erlernte Konrad nach dem Besuch der reformierten Pfarreischule in Eberbach das Bäckerhandwerk. Nach seiner Prüfung 1710/11 zog er als Bäckergeselle im süddeutschen Raum umher, seine Backwaren waren begehrt. Er wurde sogar Bäckermeister. Beisel war lebenslustig und erfolgreich.

Reformbewegung des Pietismus

Die Reformatoren Luther und Calvin hatten sich in der Lehre von der Katholischen Kirche abgesetzt. Nach den Wirren des 30-jährigen Krieges setzte eine weitere Reformbewegung im Protestantismus ein; sie legt besonderen Wert auf den persönlichen Lebens- und Glaubenswandel: der Pietismus.

Beisel hatte sich dem radikalen Flügel der Pietisten zugewandt und leitete selbst als Lehrer – er hatte weder studiert noch war er Theologe – religiöse Zusammenkünte. In der Folge kam es zu Konflikten mit der orthodoxen Obrigkeit von Kirche und Staat.

1715 hatte Beisel sein Bekehrungserlebnis: der Beginn seines neuen geistlichen Lebens. Von der Bäckergilde erhielt er schließlich Berufsverbot und wurde 1717/18 sogar aus der Kurpfalz ausgewiesen.

Auswanderung

Beisel war so zum innerdeutschen Glaubensflüchtling geworden. Einige Zeit lebte er bei den sog. Inspirierten in Düdelsheim (Wetterau). Als Beisel in Deutschland keine passende Gruppe fand, um sich anzuschließen, wandert er 1720 nach Pennsylvania aus, dem gelobten Land der religiösen Toleranz. 

William Penn, Quäker und Gründer der Kolonie, hatte höchstpersönlich auch in Deutschland um Auswanderer geworben. „Man trifft“ dort „Lutheraner, Reformierte, Katholiken, Quäker, Mennoniten oder Wiedertäufer, Herrenhuter oder Mährische Brüder, Pietisten, Siebentäger [Siebenten-Tags-Baptisten], Dümpler [= Tunker, Täufer], Presbyterianer [schottische Reformierte], Neugeborene, Freimaurer, Separatisten, Freigeister, Juden, Mohammedaner, Heiden, Neger und Indianer. Jedoch aber bilden die Evangelischen und Reformierten den größten Haufen“, schrieb der Zeitgenosse Gottlieb Mittelberger 1756.

Gründung des Klosters Ephrata

Phasen der Einsamkeit und der Gemeinschaft, Wechsel der Wohnorte und Gemeinden, aber auch Lektüre und Schriftstellerei sind zu einer komplizierten Glaubens- und Lebensgeschichte verflochten. Anfänglich hatte Beisel Kontakt zu den Schwarzenauer Brüdern, die von Alexander Mack (1669–1735) aus Schriesheim in der Kurpfalz gegründet worden waren.

1732 lässt sich Conrad Beissel – so nun die amerikanische Schreibweise seines Namens – endlich am Bach Cocalico nieder und baut in der Abgeschiedenheit eine eigene Gemeinschaft in klösterlichem Geist auf.

Als Charismatiker hatte Beissel zahlreiche Anhänger, die gleichfalls Gott suchten. „Von Philadelphia“ in Pennsylvania „geht die dritte Straße linker Hand“ 90 km Richtung Westen „Lancaster und Bethlehem zu, welches ein Kloster [ist] und voller Dümpler und Brüder und Schwestern bewohnet ist. Diese Leute scheren keinen Bart; es hat ein mancher unter denselben einen Bart eine halbe Elle lang. Sie tragen Kutten wie die Kapuziner [-mönche], zur Winterszeit von solchem Tuch oder Farbe [braune oder schwarze Wolle], zur Sommerszeit aber von feinem weißen Leinwand; die Schwestern kleiden sich auf gleiche Art.

Diese Leute taufen sich erst und tunken sich ganz ins tiefe Wasser, wenn sie schon erwachsen sind und von ihrem Glauben Rechenschaft geben können. Sonst feiern sie statt des Sonntags den vorhergehenden Samstag. Ihre voran gemeldeten Kloster-Schwestern aber bringen öfters lebendige Früchte in Geduld“, berichtet Mittelberger.

Dem Autor damals ist vermutlich entgangen, dass die Klostergemeinschaft in Ephrata neben den „Einsamen Brüdern“ und „Einsamen Schwestern“ als dritte Gruppe auch noch „Hausleute“, d. h. Ehepaare umfasst. Dazu gehören natürlich auch Kinder. Wiewohl selbst Pfarrer ist Mittelberger auch der eigentliche Name der Klostergemeinschaft nicht geläufig.

Nach alter Tradition wird der biblische Ort Ephrata mit Bethlehem, dem Geburtsort Jesu, gleichgesetzt (Micha 5,7).

Bei seiner eigenen Auswanderung über die Neckarroute war der Württemberger Mittelberger übrigens auch durch Eberbach gekommen. Und Contad Beissel hatte den Namen Ephrata als Programm gewählt, denn er wollte den christlichen Glauben reformieren und verstand die Klostergemeinschaft als Keimzelle eines erneuerten Gottesreiches. Ephrata als endzeitliches Ereignis, ein radikaler Dienst an der Welterlösung.

Klosteralltag

Als radikaler Pietist stand Beissel außerhalb der Amtskirche und vertrat auch eine andere, nicht biblische, sondern spekulative Position zum Sündenfall und zur Erlösung der Menschen. Sabbatheiligung und eigene Eingebungen sind kennzeichnend. Zudem war er Mystiker im Anschluss an Jakob Böhme. So lebte die Gottheit ursprünglich in männlich-weiblicher Harmonie. Der Engel Luzifer löste den Sündenfall aus, so dass durch Polarisierung Sophia (gr. Weisheit), die einsame Witwe in der Wüste, entstand. Die immerwährende Liebe der Sophia zeugte schließlich Jesus Christus, ihren späteren Gemahl.

Die Mitglieder der Klostergemeinschaft erhielten Ordensnamen. Conrad Beissel wurde zu Bruder Friedsam bzw. Friedsam Gottrecht, später ließ er sich sogar als Vater anreden, was manchen Ärger bereitete.

Zudem galt es auch, neue Mitglieder für die Glaubens- und Klostergemeinschaft zu gewinnen. Conrad Beissels älterer Bruder Johannes wanderte 1737 nach Pennsylvania aus, ebenso wie die Neffen und Nichten Peter, Louisa, Anna Maria, Maria und Philipp, die Kinder eines weiteren Bruders, die 1749 kamen und von denen die letzten vier in Ephrata blieben. Seinen Höhepunkt hatte das Kloster in den Jahren um 1740/50 mit rund 300 Geschwistern.

Andere neue Mitglieder waren exponierte Persönlichkeiten in Staat und Gesellschaft. Der Württemberger Conrad Weiser (1696–1760) kam schon als Jugendlicher nach Pennsylvania und wuchs eine Zeit lang beim Stamm der Mohawk aus dem Volk der Irokesen auf. Später war er u. a. Farmer, Soldat, Dolmetscher und geschätzter Diplomat in indianischen Angelegenheiten. In den Jahren 1735 bis 1743 lebte er als Bruder Enoch unter den Hausleuten in Ephrata, während seine Frau Anna Eva schon bald wieder auf die eigene Farm zurückkehrte.

Johann Peter Müller (1709–1796) aus Alsenborn bei Kaiserslautern (Kurpfalz) studierte seit 1725 Theologie in Heidelberg, wanderte dann 1730 nach Pennsylvania aus und galt als der gelehrteste Theologe der ganzen Provinz. Er kam 1735 als Einsiedler nach Ephrata, war später zweiter Mann des Klosters, Lehrer und nach Beissels Tod sein Nachfolger.

Müller, Weiser und weitere Brüder hatten einmal gemeinsam den Heidelberger Katechismus, Luthers Katechismus und andere Werke der christlichen Unterweisung verbrannt. Die beiden und weitere Brüder wurden von Conrad Beissel 1740 dennoch zu Priestern nach der Ordnung Melchisedeks geweiht. Sie waren damit der Lehre gemäß Christus gleichgestellt.

Gut organisiert und angeleitet erreichten die Brüder und Schwestern des Klosters Ephrata ein hohes kulturelles Niveau. Zeitgenössische Besucher hoben die überirdische Schönheit des Gesangs hervor. Ihren Berichten zufolge war der Klang ätherisch und fähig, die Zuhörer in höhere Sphären zu versetzen.

Die Schwestern entwickelten Kalligraphie und Buchmalerei zu einer für Amerika vorher nie erreichten Höhe. Ihre ersten Schriftwerke ließen die Ephrataner noch bei Benjamin Franklin (1706–1790), einem Vater der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung, und bei Johann Christoph Sauer (1695–1758) aus Ladenburg (Kurpfalz) drucken, bis sie eine eigene Buchdruckerei und -herstellung einrichteten. Sie verlegten religiöse Schriften.

Würdigung und Tod

Das Kloster selbst setzte seinem Gründer Conrad Beissel mit den historischen Aufzeichnungen aus Ephrata ein umfangreiches literarisches Denkmal. Bruder Lamech (Jacob Grass) und Bruder Agrippa (Peter Müller) veröffentlichten im Mai 1786 das 257-seitige Werk „Chronicon Ephratense, Enthaltend den Lebens-Lauf des ehrwürdigen Vaters in Christo Friedsam Gottrecht, Weyland Stifters und Vorstehers des geistl. Ordens der Einsamen in Ephrata in der Graffschaft Lancaster in Pennsylvania“. 

Diese Lebensbeschreibung lässt sich mangels weiterer Quellen kaum überprüfen, hat aber historischen und konfessionskundlichen Wert. Beissel starb am 6. Juli 1768. Er ist auf dem Klosterfriedhof von Ephrata beigesetzt, sein Grab hat einen gemauerten Sockel mit einer großen Grabplatte obenauf. 

Ihre Inschrift lautet: Hier ruht eine Ausgeburt [ein Geschöpf] der Liebe Gottes
Friedsam:
Ein Einsamer, nachmals aber geworden ein Anführer Aufseher u. Lehrer der Einsamen u. Gemeine Christi in u. um Ephrata. Geborn in Eberbach in der Pfaltz, genannt Conrad Beissel: entschlief den 6ten Julius A[nn]o 1768, seines
geistlichen Lebens 52 aber des natürlichen 77 Jahr 4  Monat.

Nach Beissels Tod traten dem Kloster kaum noch neue Mitglieder bei, die bedeutende Druckerei wurde 1793 verpachtet und 1813 verstarb auch der letzte aus dem Kreis der Einsamen. Die Hausleute gingen 1814 in der „German Seventh Day Baptist Church“ auf.

Nachwirkung

Beisel selbst hatte sich schon früh von der Amtskirche abgewandt, so dass in der evangelischen Kirchengemeinde keinerlei Erinnerungen an ihn gepflegt werden.

Die Gedenktafel für Beisel in der Eberbacher Neckaranlage ließ der amerikanische Musikrat 1977 aufstellen.
Selbst auf den Ahnentafeln in den beiden Bäckereien Beisel in der Oberen Badstraße und Rosengasse wird Konrad Beisel nur in einer Anmerkung erwähnt, denn er stammt aus einer frühen Nebenlinie der Bäckerfamilie. Zudem war er schon 1710/11 aus Eberbach fortgezogen. 

Doch über die Städtepartnerschaft Eberbachs mit Ephrata wirkt Konrad Beisels bewegtes Leben noch bis heute nach. 

Das Kloster Ephrata heute.

Platte auf Beisels Grab in Ephrata.

Gedenktafel für Konrad Beisel in der Eberbacher Neckaranlage (Name in amerikanischer Schreibweise).

Fotos/Repros: Kerry Mohn, Ephrata / Eberbacher Geschichtsblatt / Wikipedia
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