Leibowitsch wurde das zweite Opfer aus Eberbach der braunen Horden
Auf dem Heuberg in Stetten am kalten Markt im September 1933 durch SA-Männer ermordet
Stolperstein in der Kaserne Heuberg.
9. November 2020
Von Rainer Hofmeyer
Es war nur ein Name, ins freie Feld eines Stimmzettels bei der letzten Bürgermeisterwahl geschrieben: Salomon Simon Leibowitsch. Ein Name, den niemand von den Jüngeren im Gedächtnis hatte. Ein vergessener Mensch, vergessen in der Stadtgeschichte. Dabei wurde Leibowitsch im September 1933 das zweite Eberbacher Opfer der Nationalsozialisten,
nach Adolf Knecht.
Knecht, ein junger Sozialdemokrat, wurde am 9. März 1933
im Pfarrhof so sehr von SA-Männern traktiert, dass er wenige Tage später in einem Heidelberger Krankenhaus starb.
Es gibt keine Bilder von Leibowitsch, nur seine Geschichte, die vor allem in seinen letzten Tagen eindringlich durch Zeugen belegt ist. Salomon Leibowitschs Ende war grausam. Umgebracht im Konzentrationslager Heuberg in Stetten am kalten Markt,
auf der Schwäbischen Alb. Solche sogenannten Schutzhaftlager gab es bereits seit Anbeginn der NS-Diktatur. Dort wurden Menschen eingesperrt, die den Nazis missliebig waren. Sozialdemokraten, Kommunisten, Ernste Bibelforscher. Sie wurden ohne richterliche Beschlüsse verhaftet.
„Schutzhaftbefehle“ hießen die Anordnungen, mit denen Leute aus ihrer Welt gerissen wurden. Die Zahl derer, die auch in Eberbach ab März 1933 im ehemaligen badischen Bezirksgefängnis in der Friedrichstraße in „Schutzhaft“
landeten und dann in andere Gefängnisse und Konzentrationslager verlegt wurden, ist nicht bekannt. Hier spielte sich die NS-Diktatur ab wie allüberall im Reich. Die Eberbacher Öffentlichkeit
wusste vom Vorgehen der Nazis, wie Bilder authentisch belegen.
Salomon Simon Leibowitsch war einer, der missliebig war. Der gebürtige Russe
war im Ersten Weltkrieg in deutsche Gefangenschaft geraten und in Deutschland geblieben. 1924 kam Leibowitsch nach Eberbach.
1925 heiratete er, galt gleichzeitig als staatenlos. Seine Frau Marie lebte auch nach seinem Tod noch in der Stadt, starb 1955. Es gibt Eberbacher, die sich noch an sie persönlich erinnern. Vor Salomon und Maria Leibowitschs Wohnhaus Bussemerstraße 3 liegt ein Stolperstein.
Leibowitsch war Jude, aber auch Kommunist. 1929
trat er der Eberbacher Ortsgruppe der KPD
bei. Den Eberbacher Juden bereitete er Unbehagen. Er war schmutzig, sprach nur gebrochen Deutsch und Hebräisch. In der Versammlung in der Synagoge bei der Neckarbrücke blieb Leibowitsch ein Platz in der letzten Reihe. Obwohl gelernter Gerber, arbeitete er bei der Reichsbahn in Heidelberg, später verrichtete er in Eberbach Arbeiten als Sozialhilfeempfänger.
Seine Mitgliedschaft in der Kommunistischen Partei machte auf Leibowitsch aufmerksam - die organisierte Jagd auf die Juden eröffneten die Nazis erst später. Leibowitsch wurde am 11. März 1933 mit anderen Eberbacher KPD-Mitgliedern festgenommen.
Während alle anderen nach Heidelberg verlegt wurden, kam er zuerst ins Mosbacher Gefängnis, dann nach Buchen.
Leibowitsch war kränklich, Zeitgenossen berichteten, er sei lungenkrank gewesen. Am 7. September 1933
wurde er ins Konzentrationslager auf dem Heuberg gebracht. Mit der Ankunft dort begann schon seine Folter.
Der berüchtigte Kommandant Karl Buck trieb die Neuen an: „Im Laufschritt mit den roten Hunden.“ Leibowitsch war nicht schnell genug, stürzte mehrfach zu Boden.
Es gibt Zeugenaussagen, die das Geschehen beschreiben. Die SA-Bewacher
schlugen mit ihren Koppeln auf Leibowitsch ein, traten nach ihm. Beim anschließenden Verhör wurde er weiter misshandelt. Zwei Mithäftlinge mussten ihn in seinen Haftraum tragen. Das war erst der Morgen des ersten Tages im Lager.
Leibowitsch blieb lädiert in seinem Haftraum. Nachmittags mussten die Neuankömmlinge Brennholz verladen. Nach Bucks Kommando „Raus mit dem Saujuden“, schleppten zwei SA-Leute Leibowitsch auf den Hof. Unter zwei Eimern Holz brach er zusammen. „Dreckiges Judenschwein“ - Jetzt wurde die „Heuberger Spezialfolter“
angewandt, das Waschen im Wassertrog auf dem Hof. Die SA-Leute entblößten Leibowitschs Oberkörper, tauchten ihn in den Trog ein und bearbeiteten ihn mit einer Wurzelbürste, bis er ohnmächtig wurde. Der Lagerarzt schickt ihn aufs Krankenrevier.
Ein Zeuge
beschrieb die letzten Momente
von Leibowitsch bis zu seinem gewaltsamen Tod. Er lag mit Fieber im Krankenbett, als ihn zwei SA-Scharführer
rausrissen: „Bei uns gibt es keine Kranken!“ Sie zogen den armen Mann an den Füßen aus dem Zimmer und die Treppen hinunter auf den Hof. Mit jeder Stufe schlug der Kopf hart auf. Unten angekommen, rief einer der beiden SA-Leute: „Jetzt ist die Sau auch noch verreckt.“ Unter dem Datum 9. September 1933 wurde Leibowitschs Tod im Standesamt Stetten am kalten Markt registriert.
Über Leibowitschs Ende wurde in Eberbach seinerzeit nichts bekannt.
Im städtischen Archiv ist nur der Todestag eingetragen, noch nicht einmal der Sterbeort. Leibowitschs Frau
erfuhr erst sieben Monate später vom Ende.
Leibowitschs Frau Maria
wurde trotz des tragischen Todes ihres Mannes von den nationalsozialistischen Stellen in Eberbach
schwer drangsaliert.
So wurde Druck auf die bekannte Eberbacher Zahnärztin Emilie Botz ausgeübt, damit sie den bei dieser ausgeübten Dienst als Monatsfrau
aufgeben musste. Stattdessen wurde sie zu schweren Fabrikarbeitengezwungen,
die sie körperlich schwer schädigten.
Am 2. November 2019
wurde in der heute von der Bundeswehr genutzten Truppenunterkunft Heuberg feierlich ein Stolperstein für Salomon „Simon“ Leibowitsch gesetzt. Die Initiative ging vom Leiter der Militärgeschichtlichen Sammlung Stetten am kalten Markt aus. Das auf badischem Gebiet stehende, noch aus der Kaiserzeit stammende Lager Heuberg war von der württembergischen Landespolizei im März 1933 als Schutzhaftlager eingerichtet worden. Ab Mai 1933 wurde es auch für badische Gefangene genutzt, jetzt von der SA bewacht.
Leibowitschs Tod ist der alleinige, der für den Heuberg nachzuweisen war. Sein Name steht auf dem einzigen Stolperstein, der bislang in einer Bundeswehrkaserne gelegt wurde. Eberbach war bei der Feierstunde nicht vertreten.