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Martinszüge

Mit Einmachglas und Rübengeistern
Erster Martinszug in Eberbach 1953 veranstaltet

Der erste Martinszug 1953.

November 2013
Von Rainer Hofmeyer

Wieder einmal mehr ist es der Bürger- und Heimatverein Eberbach, der den Lichter- und Lampen-Umzug der Kinder und Eltern am Martinstag organisiert. Das ist schon jüngere Tradition. Ursprünglich war es der Vorläufer-Verein, der den Aufmarsch der Lichter von Heidelberg in das kleinere Eberbach brachte. Der damalige rührige Vorsitzende des Verkehrs- und Heimatvereins, der Apotheker Ernst Hohn, hatte die Idee des illuminierten Festzuges zum 11. November jeden Jahres. 

Für viele in der Stadt wird es eine kleine Überraschung sein, dass der Martinszug in diesem Jahr ein Jubiläum feiert. 60 Jahre gibt es ihn schon. 1953 zogen die leuchtenden Punkte, in den Händen überwiegend von Kindern, erstmals überhaupt organisiert durch die Gassen und Straßen Eberbachs. Die Jahre nach dem Krieg waren nicht gerade die Zeit des Überflusses. Umso größer war der Spaß auch an kleinen Dingen. Der Martinstag wurde, zusammen mit dem Sommertagszug, ein Höhepunkt im Jahr der Schulkinder.

Laubsägearbeiten und Pergamentpapier sorgten gleich zu Anfang schon für einfallsreiche Eigenproduktionen, die es im Zug zu zeigen galt. Die Stecken, an denen die Laternen baumelten, waren nicht gekauft, sondern aus Haselnussstrauch vom Odenwald selbst geschnitzt. Vom ersten Umzug sind sogar Einmachgläser bildlich festgehalten, die mit Pergamentpapier umhüllt waren und an einem ganz einfachen Henkel hingen. Die Motive: Sonne, Mond und Sterne und - Martinsgänse. Es gab aber auch schon die inzwischen noch üblichen käuflichen Sonnen und Monde aus bedrucktem Papier, zum leichten Aufklappen.

Die Kinder hatten in der Schule schon mal die entsprechenden Martinslieder geübt: „Laterne, Laterne“ und „Ich geh‘ mit meiner Laterne…“. Was da zu singen war, wusste man ja schon aus den anderen Städten. Aber das Ganze war ja noch in die Ewwerbäscher Mundart zu übersetzen. Die Liedertexte werden noch heute eingestimmt. Der Martinszug hat sich zu einem selbständigen Ereignis entwickelt, losgelöst vom Jahrhunderte alten Brauchtum.

Der Martinstag als solcher hatte früher eine besondere, tiefer gehende Bedeutung im städtischen Leben. Auch in Eberbach, schon lange bevor es den Lichter-Umzug gab. Es war ein wichtiger Stichtag im geschäftlichen Jahr. Zins und Pacht mussten an diesem Tag gezahlt werden. Die Haus- und Hofangestellten wechselten jetzt ihre Stelle. Schuldscheine hängte man zum Fenster raus - sie sollten erfrieren.

In Eberbach gab es früher am Martinstag sogar einen kleinen Markt, der vom Neuen zum Alten Markt reichte und auch die Obere Badstraße umfasste. Walldürner Lebkuchen, Beerfeldener Weck und tönerne Töpfe gab es zu kaufen. Die kleinen Eberbacher belustigte ein Kinderkarussell. Sie mussten es selbst anschieben, ehe sie aufspringen konnten. Einmal soll die Drehscheibe sogar dabei zu Bruch gegangen sein, weil alle an einer Seite zugleich draufgehüpft waren und die Balance nicht mehr stimmte.

So mancher der ehemals doch noch zahlreichen Bauern im nahen Odenwald musste sich gefallen lassen, dass ihm zu Beginn des Novembers die eine oder andere, möglichst runde und große Futterrübe auf dem Acker abhandenkam. Mit ausgehöhlten und beleuchteten Rübengeistern erschreckten die kleinen Neckarschleimer die Einwohnerschaft Eberbachs. Eigentlich sollten mit dem Lichterspuk die Dämonen vertrieben werden. Aber die waren für den sichtbaren Schock doch zu weit weg.

Der ganze Schnitzen an den Rüben ging meist schon vor dem Martinstag los. Ein möglichst großes Geistergesicht und eine lange brennende Kerze erhöhten die Freude für die Kinder. So mancher Rübengeist fand sich an einer langen Stange wieder. Damit reichte das Erschrecken auch bis vor die Fenster im ersten Stock. 

Ein Umzug folgte erst später, eben 1953. Bei diesem ersten Martinszug wurden die guten alten Rübengeister dann doch schmerzlich vermisst. Sie sind danach beim Zug selbst nicht mehr so richtig in Erscheinung getreten. Die im Laden käuflichen, aufklappbaren Papier-Elemente gab es leider schon von Anfang an. Zur Freude des einen oder anderen Mitmarschierers fackelten sie beim wackeligen Gang oder dem leichtesten Wind recht schnell ab - die Kerze setzte das dünne Papier in Flammen.

Der diesjährige St.-Martins- und Laternenumzug startet am Montag, 11. November, um 18 Uhr im Hof der Dr.-Weiss-Schule. Der Zugweg ist aufgrund von Wünschen und Anregungen der Eltern vor zwei Jahren neu gestaltet worden. Selbstverständlich ist auch der Namensgeber des Umzuges dabei. Dem leuchtenden und singenden Aufmarsch wird wieder Sankt Martin hoch zu Ross voranreiten. 

Von der Schule geht es durch das Bettendorf‘sche Tor beim "Hof", über den Alten Markt runter zur Neckarfront. Über Binnetzgasse, Untere und Obere Badstraße wird zur Adolf-Knecht-Straße marschiert. Die Auflösung ist im Schulhof. Dort gibt es noch eine kleine Abschlussveranstaltung mit heißer Bewirtung durch den Elternbeirat der Dr.-Weiss-Grundschule. 650 gebackene Martinsmännchen liegen bereit – die gab es in früheren Zeiten nicht.   

Info. Liedertexte und weitere Informationen zum Martinszug unter buerger-heimat-eberbach.de


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