Wer zündete 1938 das jüdische Gotteshaus an? 1948 wurden mehrere SS-Männer vor dem Landgericht Mosbach wegen Brandstiftung verurteilt
Die Eberbacher Synagoge bei der Neckarbrücke. Auf dem Dachfirst der Gesetzesstein.
November 2021
So schnell können Regierungen wechseln. So schnell können Diktaturen stürzen. So schnell kann aus einem Tausendjährigen Reich ein Trümmerhaufen werden. In jener Nacht vom 9. auf den 10. November 1938
dachten einige Eberbacher SS-Männer bestimmt nicht, dass ihr Regime wenige Jahre später zusammengebrochen sein könnte. Und dass sie zehn Jahre später wegen ihrer nächtlichen Gewalttaten vor einem deutschen Gericht stehen würden.
In den ersten Stunden des 10. Novembers
war ein Trupp des Eberbacher SS-Sturms 3/32 auf dem Weg zum jüdischen Gotteshaus nahe der Neckarbrücke, um die Synagoge in Brand zu stecken. Andere hatten den Befehl, jüdische Geschäfte in der Innenstadt zu demolieren. Es war die „Reichskristallnacht“.
Die Zerstörung einer Synagoge ist Brandstiftung nach dem Strafgesetzbuch, ein Verbrechen - auch zur NS-Zeit. Nach Kriegsende war dieses Delikt nicht verjährt. In jener Nacht wurden auch alle jüdischen Geschäfte in Eberbach demoliert. Das war nur Sachbeschädigung. Makaber: Für eine Strafverfolgung hätten die Geschädigten unmittelbar nach der Tat rechtzeitig Strafantrag stellen müssen. Kläger nach dem Krieg gab es bei den Verkaufsläden ohnehin nicht: Ihre jüdischen Besitzer waren zum großen Teil in Vernichtungslagern umgebracht worden.
Also blieb nach dem Krieg zur Sühne aus jener Pogromnacht nur die Frage: „Wer zündete die Eberbacher Synagoge an?“ Die neue deutsche Justiz in der amerikanischen Besatzungszone gegen die ehemaligen SS-Leute „wegen Brandstiftung eines zu gottesdienstlichen Versammlungen bestimmten Gebäudes“. Das Strafverfahren leitete die Staatsanwaltschaft Mosbach. Die Vernehmungen von Beschuldigten und Zeugen im Vorverfahren machte das städtische Eberbacher Polizeiamt unter der Leitung seines Chefs Siegfried Oetzel. Die Brandstifter konnten ermittelt werden, auch diejenigen, die die Geschäfte zusammenschlugen.
Am 12. Februar 1948
kam es vor dem Landgerichts Mosbach
zum Strafprozess. Aktenzeichen KLs 1/48, der erste Fall der Großen Strafkammer in jenem Jahr. Sechs ehemalige SS-Männer kamen laut Staatsanwaltschaft für den Anschlag auf die Synagoge infrage, einer davon war im Krieg gefallen. Fünf Angeklagte standen also vor Justitias Schranken. Angeklagt waren: der Werkmeister Jakob H., der kaufmännische Vertreter Josef H., der Hilfsarbeiter Anton K., der Zementeur Josef Sch. und der Kaufmann Georg Sp. Josef H. war ab Mai 1945 bis Oktober 1947 in einem Internierungslager der Besatzungstruppen in Ludwigsburg inhaftiert. Anton K. war von August 1945 bis Februar 1948 ebenfalls interniert und wurde direkt dem Gericht vorgeführt.
Befehl der Standarte
Das Gericht klärte die Abläufe in jener Nacht. Es war der 10. November 1938, 2 Uhr morgens.
Stabsscharführer Josef H. wohnte im SS-Heim bei der Güterbahnhofstraße, als sich der SS-Sturmbann Heidelberg telefonisch meldete. Doch Josef H. war dem Anrufer ein paar Dienstränge zu niedrig, um seinen wichtigen Befehl auch an den Richtigen weiterzugeben. Also musste Sturmführer Jakob H.
von zu Hause herbeigerufen werden.
Der Sprecher des Heidelberger Sturmbanns gab vor, dies sei ein „Befehl der Reichsregierung“: Die Synagoge muss angezündet werden, die jüdischen Geschäfte sind zu zerstören. Sturmführer Jakob H. hatte jedoch Bedenken wegen der Häuser in der Nachbarschaft des Gotteshauses, die durch ein Feuer gefährdet würden. Befehl sei Befehl, wurde er wurde auf die Folgen einer Verweigerung hingewiesen.
Jakob H. rief die nächsthöhere Stelle an, um noch einmal seine Besorgnis vorzutragen. Vom Führer der 32. SS-Standarte Heidelberg, Kleist, musste er sich sagen lassen, dass der Befehl zur Zerstörung der Synagogen für das ganze Reichsgebiet gelte. Wegen der Gefährdung der Nachbarschaft solle man die Feuerwehr zuziehen.
Jetzt wurde der ganze Eberbacher SS-Sturm
zusammengetrommelt. Angetreten vor dem SS-Heim, bekam die Truppe den Befehl verlesen: Inbrandsetzung der Synagoge und Beschädigung der Fensterscheiben der jüdischen Geschäfte. Bei den Ermittlungen kam zutage, dass zwar bis zu fünfzehn Mann angetreten waren. Einige SS-Männer waren sogleich bei der Sache und bewaffneten sich mit Schürhaken und anderem Schlagwerkzeug. Andere scheinen sich aber verdrückt zu haben und machten bei den Straftaten nicht mit. Sie wurden innerhalb der SS offenbar später nicht zur Rechenschaft gezogen, Befehl war also doch nicht Befehl.
Sechs SS-Männer
zogen los. Die Aktionen spielten sich in der Dunkelheit ab, zwischen drei und sechs Uhr. Zwei Mann um SS-Stabsscharführer Josef H. wurden erst einmal zu den Geschäften befohlen. Sturmführer Jakob H. übernahm selbst das Kommando bei der Synagoge. Josef H., Josef Sch. und Anton K.
machten die zerstörerische Runde durch das Geschäftsviertel.Josef Sch. und Anton K.
beteiligten sich aber auch noch tatkräftig bei der Synagoge.
Anton K. holte bei Synagogenvorsteher Alfred Freudenberger in der Hauptstraße die Schlüssel zum Gotteshaus ab und nahm den Mann gleich mit zur Synagoge.
Sturmführer Jakob H. gab Freudenberger Gelegenheit, wertvolle Gegenstände aus dem Gebäude herauszuholen. Mit einem Gendarmeriemeister wurden Gesang- und Gebetbücher sowie Gesetzesrollen
in Säcke gepackt, die der Polizist mit einem Handwagen zur Wache fuhr. Bevor es losging, ließ Jakob H. die Feuerwehr über die Polizei alarmieren, wegen der Nachbarschaft.
Neben dem als Kommandoführer festgestellten Jakob H. konnten nur Georg Sp., Anton K. und Josef Sch. als überlebende Täter bei der Synagoge ermittelt und angeklagt werden - sie gestanden bei der Polizei. Der SS-Trupp baute inmitten des Gebäudes einen Scheiterhaufen.
Bänke wurde aufgestapelt. Das sonstige brennbare Inventar hat man zusammengetragen. Anton K. riss mit zwei anderen das Holzgeländer zur Galerie aus der Befestigung und warf es auf den Stapel. Eine Bank der Empore flog hinterher.
Der Rechnungsführer des SS-Sturmes Georg Sp. machte aus seiner Brandstiftung sogar noch ein Geschäft. Aus seinem eigenen Laden holte er drei Pfund Wachs. Das verteilte er auf das Kleinholz, damit es besser brennt. Den Preis für das Wachs zahlte später der SS-Sturm aus der Kameradschaftskasse. Ausgerechnet der im Krieg gefallene SS-Mann M. soll das Feuer angezündet haben. Die Synagoge brannte innerhalb kurzer Zeit vollständig aus.
Die Umgebung wurde in schwarzen Rauch gehüllt. Der Dachstuhl stürzte ein. Feuerwehr und Bevölkerung beobachteten das Geschehen in gehörigem Abstand.
Zuerst Zuchthaus, dann Gefängnis
Fünf Urteile wurden in Mosbach im Februar 1948
über die Synagogen-Brandstifter gesprochen. Sturmführer Jakob H. wurde wegen Anstiftung zur Brandstiftung zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt; sieben Wochen Untersuchungshaft wurde angerechnet. Anton K, Georg Sp. und Josef Sch. haben zweieinhalb Jahren Zuchthaus bekommen, wegen Brandstiftung. Freigesprochen wurde Josef H. Die Zerstörungen der jüdischen Geschäfte, an denen er beteiligt war, waren ja im strafrechtlichen Sinne verjährt.
Doch bei diesen Entscheidungen blieb es nicht. Alle ehemaligen SS-Männer gingen in Revision zum Oberlandesgericht Stuttgart. Dieses württembergische Gericht war die höhere Instanz in der Amerikanischen Besatzungszone Württemberg-Baden. Verhandelt wurde in der Außenstelle Karlsruhe, dem alten badischen Gericht. Die Revisionsrichter gaben vor, dass die Strafen gemildert werden könnten, weil die SS-Leute auf Befehl gehandelt hätten.
„Im Namen des Gesetzes“
Der Fall wurde an das Landgericht Mosbach zurückgewiesen. Am 15. Juli 1948
gab es ein neues Urteil.
Jeder der verurteilten ehemaligen SS-Männer bekam ein Jahr weniger, und Zuchthaus wurde in Gefängnis umgewandelt.
SS-Leute seien zu Kadaver-Gehorsam erzogen worden, die Angeklagten hätten bei Befehlsverweigerung wesentliche Nachteile befürchtet. Andererseits hätten sie auch nicht mehr getan als ihnen vorgegeben worden war. Selbst der gute Leumund „im bürgerlichen Leben“ wurde ihnen zugutegehalten.
„Im Namen des Gesetzes“, lautete das neue Urteil. Für ein Urteil „Im Namen des Volkes“ war man sich noch nicht so sicher. Geächtet waren jedenfalls die Verurteilten hinterher im Volk nicht. Selbst eine honorige Einrichtung in der Eberbacher Geschäftswelt bot einem eine Anstellung, als sich die Gefängnistore geöffnet hatten.
Nicht gesühnt wurde nach dem Krieg, dass in jener Pogromnacht neben den Zerstörungen der Geschäfte zahlreiche Juden in „Schutzhaft“ genommen worden waren. Als Freiheitsberaubung war dies ebenfalls verjährt. Doch alle diese Ereignisse jener Pogrom
Die verurteilten Brandstifter - Jakob H.
SS-Sturmführer 3 Jahre Zuchthaus - Josef H.
SS-Stabsscharführer Freispruch - Anton K. SS-Unterscharführer und Sportwart 2 Jahre, 6 Monate Zuchthaus - Josef Sch. SS-Unterscharführer 2 Jahre, 6 Monate Zuchthaus - Georg Sp.
Rechnungsführer 2 Jahre, 6 Monate Zuchthaus
Die Gesetzestafel vom First der Synagoge wurde in den Neckar geworfen - und kam später wieder zum Vorschein.