Und zu Weihnachten gab es einen Prinz Die Eberbacher Werbegemeinschaft EWG wird heute 50 Jahre alt – 65 Mitglieder
Volles Kurhaus bei der ersten Weihnachtsverlosung.
2. September 2015
Von Rainer Hofmeyer Wenn man den Ursprung der Eberbacher Werbegemeinschaft EWG vor exakt 50 Jahren auf eine Formel bringen will: Da hatte eine Handvoll einheimischer Kaufleute eine gute Idee. Wenn man ein halbes Jahrhundert später die Lage der Eberbacher Geschäftswelt auf eine Lesart bringen will: Es hat sich vieles geändert, wirklich zum Besseren entwickelt hat es sich aber nicht für den hiesigen Einzelhandel. Die EWG ist so etwas wie eine kleine Schicksalsgemeinschaft geworden, die nicht nur verkaufen, sondern in der Kommunalpolitik längst auch ein Wörtchen mitreden will.
In den letzten fünf Jahrzehnten haben sich in Eberbach die geschäftlichen Bedingungen entscheidend gewandelt. Die Stadt selbst hat einen neuen Stellenwert: Einst im Landkreis Heidelberg
mit Wiesloch die steuerstärkste Gemeinde,
hat sie zwar ihren ersehnten Platz im neuen Großkreis Rhein-Neckar gefunden. So hat Eberbach die Gelegenheit verpasst,
im alternativ angebotenen Neckar-Odenwald-Kreis eine Alfa-Position zu besetzen.
Die Käufer wurden aus der Innenstadt abgezogen.
Die Stadt hat Handelsketten
draußen gutes Gelände gegeben, auf dem der bequeme Kunde sein Auto kostenlos parken kann. Viele Handwerker wie Bäcker und Metzger sind aus Eberbach verschwunden. Kleine Läden des täglichen Bedarfs gibt es so gut wie nicht mehr.
Viele Spezialgeschäfte haben zugemacht. Dann noch die digitale Revolution: Der bodenständige Handel hat Konkurrenz im Internet
bekommen.
Vom Gründungstag bis heute hat sich die Eberbacher Werbegemeinschaft gegen den Trend gestemmt
und recht wacker geschlagen. Die EWG hat die Kundschaft unermüdlich zu besonderen Verkaufstagen gelockt und mit zahlreichen Veranstaltungen begeistert. Kurz: Die äußeren Vorzeichen haben sich zwar radikal geändert, die EWG hat durchgehalten. Ihre Mitgliederzahl beläuft sich inzwischen auf 65.
Dabei fing alles 1965 schon mal mit einer Anmaßung an. Mit der Wahl des Kürzels „EWG“ waren ihre damaligen Eberbacher Gründerväter ganz schön frech. Denn zu jener Zeit hieß die heutige Europäische Union noch Europäische Wirtschaftsgemeinschaft. Und da war „EWG“ für einen Werbeverbund im stillen Odenwald doch so etwas wie eine kleine Unverschämtheit. Aber da saßen ja in der Neckarstadt eloquente Männer zusammen, die sich um solche Fragen ohnehin nicht geschert hätten.
Rolf Karl
vom Schuhhaus Fritz Karl war nicht nur Initiator des damals neu gegründeten Eberbacher Fanfarenzugs und später Antreiber hinter der ersten Fußgängerampel in der Stadt. Er stachelte auch die Eberbacher Gemeinschaftswerbung vehement an. Mit Rolf Karl, Gerhard Müller
vom gleichnamigen Modehaus, Achim Brözel
vom Geschenkehaus Bosch sowie Eisenwarenhändler Willi Canali
trafen sich die vier Ur-Gründer
Anfang August 1965
erstmals im Grünen Baum.
Ziel der Unternehmung: Mehr Käufer aus nah und fern in die Eberbacher Läden locken. Darüber hinaus ging es darum, die Forderungen des lokalen Einzelhandels auf einen Nenner zu bringen und im Rathaus mitzumischen. Von Beginn an auf der Agenda: die leidige Parkplatz-Situation in der Innenstadt. Da hat sich bis heute nichts zum Besseren geändert.
Die Idee gemeinsamer Werbung fand Zuspruch in der örtlichen Geschäftswelt. Am 2. September 1965,
also heute vor genau 50 Jahren, wurde die Eberbacher Werbegemeinschaft
im Kurhaus-Restaurant in großem Rahmen gegründet. Als erste Mitglieder trugen sich 25 Ladeninhaber und -inhaberinnen ein. Rolf Karl übernahm den Vorsitz, Schriftführer wurde Gerhard Müller, Kassier Josef Grove
von der Drogerie Rohleder.
Ein wenig war der Einfall von der Eberbacher Werbegemeinschaft abgeguckt. In Heidelberg hatte sich zuvor eine solche Einrichtung schon erfolgreich etabliert. Will aber nicht heißen, dass in Eberbach nur kopiert wurde. Die Protagonisten hatten ihre individuellen Charaktere,
die häufig aufeinanderprallten. Da konnte es vorkommen, dass der Vorsitzende bei Meinungsverschiedenheiten mit Rücktritt drohte. Oder dass einer unter Protest seine Mitgliedschaft aufgab, jedoch ein paar Jahre später die Führung der EWG übernahm. Die Zusammenkünfte endeten manchmal erst gegen Mitternacht. Wer sich der Temperamente von Heiner Strohhauer und Rolf Karl erinnert, kann sich denken, wie lebhaft es bei den frühen EWG-Sitzungen zuging. Derartiges Engagement sucht heute noch seinesgleichen. Das waren kämpferische Persönlichkeiten, die man heute vielleicht vermisst.
Auf ein Signet hatte sich die EWG gleich zum Auftakt geeinigt. Die Werbung sollte Eberbach als das waldreiche Zentrum von Neckartal und Odenwald herausstellen. So wurde denn das „Grüne Herz“
zum Symbol und ist es leicht abgewandelt bis heute geblieben. Neben der eigenen Werbung mit Anzeigen, Beilagen, Aufklebern, Flyern und einer kleinen Zeitung begleiteten die Medien die EWG alljährlich zu speziellen Höhepunkten - Letzteres kostenlos, versteht sich‘s.
Denn zumindest an einem Hauptereignis kam keiner vorbei. Drei Zeitungen berichteten die ersten Jahre im großen Umkreis vor allem über die Weihnachtsverlosungen im Kurhaus,
bei denen es richtige Autos
zu gewinnen gab. Es galt zur Weihnachtszeit, kleine nummerierte Herzen zu sammeln. Wollte man die Glücksbringer ergattern, musste man in die Mitgliedergeschäfte der EWG. Für 5 Mark Einkauf gab es ein Herz.
Bei den ersten Weihnachtsverlosungen mit Autos als Hauptgewinn war das ganze Kurhaus mit rund 3000 Besuchern
einschließlich Foyer, kleinem Saal und Treppen restlos überfüllt. Jeder wollte persönlich anwesend sein, um das große Glück mit nach Hause zu nehmen. Heute würden Polizei und Feuerwehr das Event aus Sicherheitsgründen zwangsweise beenden.
Zu gewinnen gab es beim ersten Mal 1967 einen Volkswagen Käfer 1300,
selbstverständlich in herz-grün. Die Männer der EWG trugen schwarze Sakkos mit weißen Nelken im Knopfloch und drehten die große Lostrommel. Als Ziehungsgerät hatte man sich die originale Plastikkugel des ZDF-Mittwochslottos ausgeliehen. Die war mit so vielen Grüne-Herz-Losen gefüllt, dass der Motor streikte und per Hand rotiert werden musste. Die erste Gewinnerin eines EWG-Autos war Monika Ottenstein mit der schlichten Wohnanschrift „Bahnwärterhaus Nummer 25“. Eine Adresse, die bei der Deutschen Bahn längst wegrationalisiert ist.
Die Gewinnwagen wurden bei den EWG-Autohändlern besorgt. Zu erlangen gab es in der Folge einen Opel-Kadett,
mehrmals einen Renault 8,
einen Fiat 128
und sogar einen NSU Prinz 1000.
Die Marke NSU ist nach 50 Jahren längst vergessen. Genauso wie der Gedanke, dass die Gemeinde Eberbach heute in der Lage wäre, der EWG aus der Stadtkasse sage und schreibe 10 Fahrräder zur Verlosung zu stiften - wie es 1973 geschehen ist. Ab 1975 gab es keine EWG-Autos mehr.
Die Preise wurden kleiner und auf mehrere Verlosungstage auf dem Leopoldsplatz verteilt. Heute werden die Weihnachtsgewinner ohne Beteiligung des Publikums ausgelost.
Langjährige EWG-Vorsitzende waren: Rolf Karl, Max Fedor Grißstede, Heinrich Strohauer
und Karl Sauer.
Jetzt ist die nächste Generation für die einzelnen Unternehmen verantwortlich. War Gerhard Müller immer zweiter Vorsitzender, hatte Sohn Dietrich Müller
25 Jahre später den Vorsitz, den er heute noch ausübt. Es gab neue Ideen, es sind etliche Veranstaltungen hinzugekommen. Der erste Apfeltag war 1987, „Feuer und Flamme“ gibt es seit 2008, das Sommer-Straßenfest seit demselben Jahr. Das Laternenfest 2001 blieb ein Einzelereignis. An den durchweg gut besuchten verkaufsoffenen Sonntagen heute zeigt sich, dass Kunden nicht nur auswärts oder per Internet einkaufen wollen, wenn das Einkaufen an ihren arbeitsfreien Tagen als besonderes Ereignis organisiert wird.
Längst sind nicht nur Einzelhändler Mitglied der EWG,
auch Handwerker, technische Betriebe, Hotels sowie verschiedene Dienstleister. Zumindest in begrenztem Umfang hat sich die EWG in Eberbach zu einer kommunalpolitisch Beteiligten
entwickelt. Sie hat Marktstudien in Auftrag gegeben und bei Projekten mitgemacht, die einen positiven Schub für Eberbach bringen sollten. Das informelle Engagement der EWG wird von Bevölkerung und Rathaus akzeptiert. So wird die Werbegemeinschaft gelegentlich von der Stadtverwaltung bei einem akuten Problem um ihre Meinung gefragt. Denn die Interessen der Geschäftswelt nach mehr Anziehungswirkung Eberbachs decken sich meist auch mit denen der Allgemeinheit.
Das Ziel, mit Stadträten im Gemeinderat
vertreten zu sein, ist für die EWG längst erfüllt. Wenn jemand in Eberbach Bürgermeister werden will, muss er sich selbstverständlich auch den organisierten Geschäftsleuten vorstellen. Die sitzen dann aufmerksam in der Runde und hören kritisch zu, wie die Lokalpolitik einmal mehr die Innenstadt attraktiver gestalten will. Hier wird sich die nächsten 50 Jahre wahrscheinlich nichts ändern - so oder so nicht…
Zur Namensgebung
Wenn man nunmehr von der „EWG“
bzw. der „Eberbacher Werbegemeinschaft“
spricht, so ist festzuhalten, dass sich dieser Name und das Kürzel EWG erst nach etwa fünf Jahren ihres Bestehens verfestigt haben. Anfangs bezeichnete sich der Verbund als „Werbegemeinschaft Eberbach“,
teilweise WG oder WGE. Die Namensänderung erfolgteerst1970
mit der Umstrukturierung in einen eingetragenen Verein („Eberbacher Werbegemeinschaft e.V.“).
Frühe Werbung.
Die Macher der ersten Stunde: Rechner (verdeckt), Müller, Grißtede, Strohauer, Sauer (von links).