Die dramatischen Stunden der tödlichen Wolfsjagd 1866 kommt das Tier dem Schollbrunner Ratschreiber vor die Flinte – Tod bei Eberbach
Der letzte Wolf: Erlegt und auf dem Odenwald stolz gezeigt
März 2016
Von Rainer Hofmeyer Viele Jäger war‘n des Wolfes Tod. Und viele Hunde auch. Da war wohl der halbe Hohe Odenwald auf den Beinen, um vor genau 150 Jahren den letzten Wolf der Gegend zu jagen. Es wird von 150 Schützen, 120 Treibern und 130 Hunden plus Gendarmeriebeamten berichtet, die am 11. und 12. März 1866 auf der Hatz nach der „Bestie“ sind. Von Robern über Wagenschwend, Strümpfelbrunn, Oberdielbach, Weisbach bis nahe dem Neckar bei Eberbach treiben die Jäger den gefürchteten Wolf vor sich her. Eine zweitägige Verfolgungsjagd, auch mit Pleiten, Pech und Pannen. Und vielleicht auch von den Beteiligten nacherzählt mit etwas Jägerlatein.
Kein Mensch
kam je durch einen Odenwald-Wolf zu Schaden.
Dennoch waren Wölfe seinerzeit auch hier die Schrecken der Leute - der Bauern, der Schäfer, der Jäger. „Im Blutrausch“ rissen sie Schafe und „sorgfältig gehegtes Wild“. „Bitterkeit, Verzweiflung, Existenznot“ machte sich vor allem unter der Landbevölkerung breit. Dem Wolf wurde gnadenloser Hass und unendliche Verachtung entgegengebracht. Das „raubsüchtige Unthier“ musste um jeden Preis „vertilgt“ werden.
Überall in deutschen Landen veranstaltete die Bevölkerung wahre Treibjagden. Ihr Ziel war die radikale Vernichtung der Wölfe.
„Der Wolf, der Wolf!“, ein Schreckensruf. Man schreibt Sonntag, den 11. März 1866. Im Odenwald liegt Schnee. Gegen 9 Uhr
entdeckt Waldhüter Walter aus Wagenschwend
im Privatwald bei Robern eine frische Wolfsspur. Walter warnt die Bevölkerung. Die Gendarmerie alarmiert
gleich fünf Ortschaften des Winterhauchs. Eine Horde von Treibern und Schützen macht sich schleunigst auf die Fahndung.
Der Wolf hinterlässt weitere Fährten
- in der Nähe der Maximilianshöhe bei Mülben.
Ein Fürstlich-Leining’scher Förster
führt die Hetzjagd an. Und ausgerechnet diesem kommt der Wolf bei Strümpfelbrunn
sogleich direkt vor die Flinte. Ehe der Jägermeister seine Waffe vorbringt, ist Isegrim schon ein paar Sätze weiter. Da wird von den anderen Jagdgenossen so richtig draufgeballert. Die ganze Schützenlinie feuert aus allen Rohren
auf das flüchtende Tier. Von „Tirailleur- und Peletonfeuer“ berichtet das „Anzeigenblatt für den Kreis Erbach“ danach in seiner Zeitungsmeldung.
Eigentlich hätte der Wolf schon bei diesen Salven keine Chance mehr haben dürfen. Doch im Eichenniederwald „konnte man allerwärts den Wolf in kolossalen Sätzen die steilen Bergwände abrennen sehen“.
„Wir schossen wie die Wilden, doch der Wolf lief - wie die Hasen - einen Zick-Zack-Kurs“, berichtet ein Waidmann im Heidelberger Tageblatt. Am Ende des steilen Hanges lauert Jäger Karl Kraft aus Strümpfelbrunn,
früher Förster beim Markgrafen von Baden, inzwischen entlassen und arbeitslos. Also Gelegenheit, sich zu beweisen. Kraft schießt erst ein paar Mal vorbei, lässt dann den Wolf „bis auf 15 Schritte“ an sich rankommen. Er zielt voll „aufs Blatt“. Worauf „die Bestie sitzen bleibt und den Rachen aufreißt“.
Doch das war noch nicht das Ende. Die Dunkelheit lässt dem Wolf noch mal eine vermeintliche Chance. Er entkommt durch die Büsche. Denn, so eine mündliche Überlieferung, Jäger Kraft hat wohl nur einen hinteren Lauf des Vierbeiners
getroffen.
Die Nacht verbringt die angeschossene Kreatur bei Oberdielbach.
Es folgt Montag, der 12. März 1866.
Der letzte Tag des letzten Wolfes
im Odenwald. Zwei Strümpfelbrunner Gendarmen entdecken das Tier am Vormittag. Jetzt sind die Schollbrunner in Aufregung. Bei der Mühle am Mühlberg im Weisbachtal
bekommt Karl Edelmann
das angeschossene Tier zu Gesicht. Doch sein Vorderlader versagt. Ehe Edelmanns Vater ihm die eigene Flinte zugeworfen hat („Da, Karl, hosch mei!“), ist der Wolf schon wieder weg. Der zweite Versuch ist gescheitert.
Dritter Anlauf. Die Schollbrunner setzen nach.
Der verletzte Wolf läuft auf offenem Feld an Oberdielbach vorbei
über die Hügel direkt Richtung Neckar. Die Spuren im Schnee verraten ihn: Zu Mittag wird er in der Gemarkung Eberbach eingekreist. Beim damals so genannten Distrikt Petersweg kommt er um 13 oder 14 Uhr
dem Schollbrunner Gastwirt und Ratschreiber Vincenz Diemer
vor den Lauf. Ein Schuss - getroffen.
Der Wolf rafft sich noch einmal auf, kommt nicht mehr weit. „Bald fand man ihn im Wundbett verendet“. So die Version, die Vincenz Diemer als erfolgreichen Schützen beschreibt.
Es gibt aber auch andere Überlieferungen der allerletzten Stunde
des letzten Odenwälder Wolfes. In den Zeitungen
der Gegend wird unterschiedlich berichtet.
Schon am Vortag wurde ja schon auf ihn geschossen. Zuerst entscheidend getroffen hat Karl Kraft aus Strümpfelbrunn. Mal heißt es, der Wolf sei schon tot gewesen, als er von Diemer bei Eberbach gefunden wird. Mal soll er nur nicht mehr fluchtfähig gewesen sein, als ihm der Schollbrunner Ratschreiber den letzten Schuss gibt.
So kommt es in Folge zu verschiedenen Varianten, wer denn der eigentliche Held gewesen sei. Sei’s drum. Zuerst wird der tote Wolf gehörig gefeiert.
Und im Triumphzug auf „die Höh‘“ geschleppt.
Ein „annehmend großer und starker männlicher Wolf“ mit einem „furchtbaren Gebiss“. Die Oberdielbacher Waage zeigt 78 Pfund.
Am Nachmittag wird er erst mal „zum Gaudium der Jugend“ in Schollbrunn ausgestellt.
Am Abend fährt man den toten Wolf im offenen Pferdewagen nach Eberbach und zeigt ihn vor dem badischen Bezirksamt der Bevölkerung.
In Heidelberg wird das Tier wenige Tage später ausgestopft und dort danach für einige Zeit gegen 6 Kreuzer Eintrittsgeld im Garten des Deutschen Hauses präsentiert. Die Frage des tödlichen Schusses auf den Wolf wird salomonisch geklärt.
Der Jagderfolg
wird heute dem Hirschwirt und Ratschreiber von Schollbrunn Vincenz Diemer
zugeschrieben. Der war zuletzt mit seiner Flinte dran. Die Belohnung
von 25 Gulden erhält jedoch Karl Kraft aus Strümpfelbrunn,
der dem Wolf schon am Abend vorher den vielleicht tödlichen Schuss verpasst hat. Wagenschwends Bürgermeister Banschbach bemüht sich noch erfolglos um eine „kleine Gabe“ für den „unbemittelten Familienvater Walter“ mit seinem „geringen Gehalt von 100 Gulden“ - der Waldhüter war ja der eigentliche Entdecker des Wolfes.
Den Wolf bekommt das badische Eberbach.
Laut Jagdrecht
hat es Anspruch auf den Kadaver. Denn das waidwunde Tier schleppte sich vom Winterhauch runter auf Eberbacher Gemarkung beim Neckar,
nahe der Schleuse, in den heute „Lautenbach“ genannten Distrikt. Und so ist denn „Der letzte Wolf des Odenwalds“ heute im Eberbacher Museum ausgestellt. Ohne dass ein Eberbacher bei der Jagd vor 150 Jahren auch nur einen Finger krumm gemacht hat.
INFO.
Dieter Röckel: „Die abenteuerliche Geschichte des letzten Wolfs im Odenwald“, 1999
Im Jahr 2017 wurde erstmals wieder ein Wolf im hessischen Odenwald gesichtet. Der Wolf von 1866 war demnach "der einst letzte Wolf"...