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Evangelische Kirche 175 Jahre

Die Evangelische Kirche war eine ewige Baustelle
Das heute Michaelskirche genannte Gotteshaus wurde im Mai 1841 eingeweiht

Die wuchtige Michaelskirche heute.

April 2016
Von Rainer Hofmeyer

Es gibt Dome und Kathedralen auf dieser Welt, die werden nie fertig. Fast schien die Evangelische Stadtkirche in Eberbach vor jetzt 175 Jahren ein solches Gebäude zu werden. Nicht nur, dass es ein langes Hin und Her gab, ehe die Entscheidung für einen Neubau gefallen war. Es wurde auch rund fünf Jahre auf der Baustelle gewerkelt. Heute ist das damalige Gezerre um den Neubau der Evangelischen Stadtkirche längst einer Freude gewichen. Zu Pfingsten wird das Jubiläum des Gotteshauses gefeiert.

Die ersten Planungen für einen Kirchenneubau datieren 1822. Das ist jetzt fast 200 Jahre her. Die vorherige kleine Reformierte Kirche von 1426 am Oberen Tor, also etwa an der Stelle der jetzigen, hatte mehrere Umbauten und Erweiterungen erfahren. Und Verwüstungen. 1634 wurde sie von kaiserlichen Truppen heimgesucht. 1688 hatten französische Truppen sogar das Blei aus den Kirchenfenstern gekratzt und mitgenommen. Weitere beträchtliche Schäden verursachten zwei größere Hochwasser, 1784 und 1789. Die Kirche war schummerig und marode, die Einrichtung wackelig. Zog eine verdunkelnde Wetterwolke über das Haus, konnte man „das Lied nicht lesen“. Wer den Gottesdienst besuchte, war dem Himmel nah - auf eine ganz andere Weise als gedacht: Es sei „lebensgefährlich, wenn man Gottes Wort in der Kirche hören muss.“ 

1822 beantragte der Kirchengemeinderat einen Neubau.
Beim Badischen Ministerium des Innern, Evangelische Kirchensektion. Der Staat war ja seinerzeit für die Kirche „baupflichtig“. Freundlich baten die Presbyter erstmal, „gnädigst den Auftrag zu erteilen“, dass der Heidelberger Kirchenbaumeister Wundt den Zustand der alten Kirche „selbst genauer prüft“. Die badische Regierung reagierte prompt - und ablehnend: Man sei „nicht im Stande, die laufenden Ausgaben zu bestreiten.“ Es müssten „bessere Zeiten abgewartet“ werden.

Statt der erhofften besseren kamen schlechtere Zeiten. Das bis heute höchste Neckar-Hochwasser 1824 gab der Kirche den Rest. Die Fenster zerbrachen, die Wände waren von „Kot und Schlamm überzogen.“ Jetzt zerfiel die Kirche immer mehr. Dach- und Deckenbalken stürzten herab. Als die Stadtgemeinde 1828 dann auch noch den an die Kirche angelehnten Obertorturm abriss, wurde der „gefahrvolle Zustand der Kirche so groß“, dass man die Kirche „ohne Bedenken nur noch ein halbes Jahr besuchen könne.“

Als nun die Badische Landesregierung entschied, die Kirche „neu aufbauen zu lassen“, kam es zum Streit, wo sie denn zu errichten sei. Drei Örtlichkeiten wurden debattiert. Den Bauplatz hatte die Stadt zu stellen. Die wollte auf einem Garten vor dem Unteren Tor bauen lassen, also am Ende der Kellereistraße Richtung Neckar. Die badische Kirchenbehörde hingegen favorisierte Grundstücke oberhalb des jetzigen Neuen Marktes, an den Scheuerberg gelehnt. Die Kirchengemeinde sah darin jedoch eine „unersteigliche Höhe des Platzes.“ In einer Abstimmung sprachen sich 289 zu 83 Eberbacher für einen Neubau am Platz der alten Kirche aus.

Noch einmal sperrte sich die evangelische Innenbehörde: Der Kirchenbau sei „wegen des schlechten Cassenstandes aufzuschieben.“ Es krachte gehörig im Gebälk. Der Kirchengemeinderat beschloss, das alte Gotteshaus zu schließen und die von den Katholiken angebotene Kirche mitzunutzen. Diese ökumenische Liebelei wiederum war der evangelischen Kirchenbehörde in Karlsruhe zu viel. 1834 wurde die Genehmigung zum Abriss der verfallenden Kirche erteilt. Die kleine Betglocke kam in einem provisorischen Glockenhäuschen auf einer Scheune unter - am Scheuerberg. Hirschwirt Bussemer am Neuen Markt bewahrte die anderen Glocken auf und die Orgel.

1835 ging es los mit den Bauarbeiten.
Die Stadt stellte den inzwischen erweiterten Bauplatz zur Verfügung, das heutige Kirchengelände. Gestiftet wurden noch 100 Klafter Eichenholz aus dem Stadtwald. Die brauchte man auch. Schließlich zeigen aktuelle Bauvorhaben, wie tief man im Eberbacher Altstadtboden ein Fundament gründen muss. Auch die Neckar-Hochwasser waren zu berücksichtigen. Die hohe Eingangstreppe der Michaelskirche ist der Höhe der Jahrtausendflut von 1824 geschuldet.

Während der Bauzeit feierten die Protestanten ihre Gottesdienste bei den Katholiken. Stadt und Land zelebrierten am 29. August 1836 die Grundsteinlegung. Der Festakt wurde auf den 46. Geburtstag des badischen Großherzogs Leopold gelegt. Patronatsherr Fürst Emich Carl von Leiningen beorderte eine Delegation. Alle Eberbacher Schüler marschierten auf, der Singverein schickte ein Loblied zum verregneten Himmel, es wurden 600 Brezeln verteilt. Im „Grünen Baum“ speisten mittags die Ehrengäste, abends wurde dort getanzt. Die Bauleute vertilgten „100 Maass Wein, 15 Pfund Käse und 40 Laib Brot“. Der Grundstein liegt 1,5 Meter versteckt unter dem Haupteingang. Eingehauen: „Zur Ehre Gottes. 1836“.

Schnell ging es jetzt nicht mehr weiter. Dabei folgte der Grundsteinlegung ein milder Winter - ohne Kurzarbeit für die eingesetzten 23 Maurer, 17 Steinmetze und 14 Taglöhner. Es klemmte bei der Zulieferung der Sandsteine.  Erst am 15. Dezember 1837 wurde das Richtfest gefeiert. Danach folgen noch weitere drei Jahre unvollendeter Evangelischer Stadtkirche. Denn jetzt ging es um die Feinheiten - Ausstattung innen und außen, Kirchenstühle, Kanzel, Altar, Orgel. Nur der „Fürstenstuhl“ für von Leiningen blieb unumstritten.

Selbst über die Inschriften an den Eingangsportalen gab es Diskussionen in der Stadt und Schriftverkehr mit den badischen Kirchenbeamten. „Unser Vater“ - links, „Zu uns komme Dein Reich“ - Mitte, „Amen“ – rechts, so wollte es der Dekan. „Gott allein die Ehre“ - Nur Mitte, so legte es die Behörde fest. Gestritten wurde auf allen Ebenen - über Säulen am inneren Eingang, über die Kosten der Vergoldung von „Knopf und Hahn“ auf dem Kirchturm, über eine zusätzliche große Glocke. Die Stadtgemeinde brauchte eine „Feuerwacht“ mit einem Ausguck im Turm. Dafür wollte sie die große Glocke zahlen - für den Feueralarm. Das Vorhaben wurde vom Innenministerium abgelehnt.

So verging die Zeit. Kirchenbaumeister Wundt war arbeitsüberlastet und konnte die Plane für Gestühl, Kanzel und Altar nicht rechtzeitig beibringen. Der Orgelbaumeister starb mitten in der Arbeit. Die Kirche schien eine ewige Baustelle zu werden. Die Gemeinde wurde immer ungeduldiger. Da kam der Fingerzeig aus dem Ministerium: Die Einweihung wurde auf den 16. August 1840 angeordnet. Die Feier war schon vorbereitet, die Stadt in Vorfreude. Es fehlte allerdings noch die Orgel. Das hatte das Ministerium übersehen. Und so sagte man die geplante Einweihung kurzfristig wieder ab. Im Oktober des Jahres erst brachte Schiffer Seib das große Instrumentarium aus Heidelberg auf dem Neckar nach Eberbach. Jetzt sollte das Werk vollbracht werden, das 80 000 Gulden gekostet hat.

Bei der Einweihung der Kirche am 16. Mai 1841 feierte ganz Eberbach, jetzt bei herrlichem Frühlingswetter. Offiziell waren alle ein Herz und eine Seele. „Beide christliche Confessionen“ freuten sich über den massigen Steinbau. So die Sicht der Protestanten, in der alten evangelischen Altarbibel dokumentiert. Die Stadt war mit Laub, Birken, „Guirlanden und Fahnen sinnvoll gezieret“. Die Schuljugend der Dörfer aus dem Kirchenbezirk - Rockenau, Wimmersbach, Pleutersbach, Igelsbach, Unterdielbach - und aus Eberbach eröffnete den Festzug.

Evangelische und selbst katholische Geistliche marschierten mit. Katholische Schützen sorgten für Ordnung vor der Kirche. Freudenschüsse „hallten in den Bergen und Thälern wider“. „Die ganze Stadt bewegte die Freude“. Zumindest in der Bevölkerung war alles vergessen, was die langen Jahre des Kirchbaus, von 1835 bis 1841, ausgemacht hatte. Ganz Eberbach war so bewegt, „daß es zweifelhaft schien, ob eine katholische oder evangelische Kirche eingeweiht werden sollte“.

INFO. Eberbacher Geschichtsblatt 1991.

Durch Recherchen in Zusammenwirken mit dem Leiter des Stadtarchivs Dr. Rüdiger Lenz hat sich inzwischen herausgestellt, dass die Namensgebung "Michaelskirche" auf einer stadtgeschichtlichen Verwechslung beruht.


Katholiken waren sauer
Protest wegen Undanks der Protestanten

Von Rainer Hofmeyer

Die offiziellen Katholiken waren verärgert.
Wohl zu Recht. Während der gesamten Bauzeit von 1835 bis 1841 hatten sie ihre Kirche den Protestanten „zum Mitgebrauch bereitwillig eingeräumt“.
 
Doch bei den Einweihungs-Predigten am 16. Mai 1841 gab es dafür kein Wort des Dankes von protestantischem Kirchenrat oder Stadtpfarrer. Und selbst bei den von Champagner schäumenden Trinksprüchen während der Nachfeier im Hotel Leininger Hof (heute Platz des Rathauses) dachte man „perfiderweise“ nicht daran, der katholischen Gemeinde einen Toast auszubringen.

Der katholische Pfarrer Anton Gillig verkniff sich deshalb auch eine wohlmeinende Ansprache beim Bankett. Es krachte noch mehr: Die zur Feier gebetenen Mitglieder des katholischen Stiftungsvorstandes lehnten sogar die Übernahme ihrer Bewirtung auf fremde Kosten ab und zahlten demonstrativ ihre Zeche selbst, „aus ihrem Sack“.

Verärgert richtete der katholische Stadtpfarrer ein besonderes Auge auf das evangelische Treiben in der Stadt, das von der politischen Gemeinde und nicht von der Kirchensteuer bezahlt wurde. „In den Wirtshäusern ertönte Sang und Klang, selbst alle protestantischen Weiber - mitunter angetrunken - versammelten sich und jubelten und hüpften noch in später Nacht auf der Straße“, hielt Anton Gillig in seinen Erinnerungen an den Tag fest.

INFO.
Im Jahr 1846 gab es in Eberbach 3070 Protestanten und 968 Katholiken.


Alte Kirche von 1466.

Der Altarraum von 1954.

Relief des Namensgebers - Erzengel Michael

Fotos/Repros: Rainer Hofmeyer
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