Die Malerin und Werbegrafikerin starb 1992 blind, einsam und wohlhabend in Eberbach – Vertraute des Reichspostministers
Emmy Glintzer.
Oktober 2015
Von Rainer Hofmeyer
Auf diese Lebensgeschichte kommt man nur durch Zufall. Nur dann, wenn man etwas genauer hinguckt bei zwei Postkarten mit Eberbacher Motiven, die in den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg herausgegeben wurden. Als Urheber ist dort "E. Glintzer" aufgedruckt. Die mit professionellem Duktus gestalteten Karten waren seinerzeit Werbung für den „Eberbacher Kuckucksmarkt“ 1948 und eine Illustration der „Ballade vom Eberbacher Kuckucksfresser“. Hinter dieser Reklame stand tatsächlich professionelle Arbeit. Und zwar die einer renommierten deutschen Werbegrafikerin. Die zeichnete nicht nur ein wenig für ihre Wahlheimat Eberbach. Sie zählte bereits Anfang des 20. Jahrhunderts und im Dritten Reich zu den gefragten Künstlern des Alltages: Emmy Glintzer, mit vollem Namen Eugenie Mathilde Emma Glintzer.
Emmy Glintzer
ist und war in Eberbach
jedoch so gut wie unbekannt. Dabei hat sie hier 45 Jahren gelebt. Allenfalls hat man sie in der Anfangszeit ihres Aufenthaltes in Eberbach wahrgenommen. Im Stadtarchiv findet man noch den Druckstock für die Kuckucksmarkt-Postkarte und den Entwurf eines würdigenden Nachrufes - offenbar von der Stadt nach Glintzers Tod herausgegeben. Sowie eine alte Meldekarte: Geboren 1899 in Kassel, gestorben am 24. Mai 1992 - im Eberbacher Kreiskrankenhaus. Familienstand: ledig. Berufsbezeichnung: „Referentin“. Dass diese schlichte Bezeichnung täuscht und den wahren Beruf mit einem umfangreichen Schaffen verschleiert, stellt sich bei den Recherchen bald heraus.
Emmy Glintzer lebte ursprünglich in Berlin.
Ab 1940 war die zeitlebens Unverheiratete eine Vertraute des Reichspostministers Wilhelm Ohnesorge
gewesen, seine „Referentin für Kunst“. Zwei Mal zerstörten Bomben in Berlin Emmy Glintzers Wohnung und ihren Fundus. Der Postminister hat sie daraufhin 1944 aus der Reichshauptstadt nach Badenweiler und Anfang 1945 nach Konstanz „abgeordnet“, damit sie den Fliegerangriffen entgeht. Mit Kriegsende hat Emmy Glintzer zwangsläufig ihre Stelle im Reichspostministerium verloren. Ihr Weg führte 1947 Richtung Eberbach. Der letzte Umzug aus Waldshut war damals noch ein Wechsel aus der französischen in die amerikanische Besatzungszone. Glintzer fühlte sich hier besser aufgehoben.
Es war der Wandel der Nachkriegsjahre, die Abkehr vom Nationalsozialismus und ihren Helfern im neuen Deutschland, dass man Emmy Glintzer in Eberbach keinen roten Teppich ausrollte, als sie nach dem Krieg an den Neckar
zog. Anfangs hatte sie weder eine Wohnung, geschweige denn Arbeitsräume, ein Atelier. Sie kam in der Beckstraße
unter, später in der Steigestraße
in einem der großen evangelischen Siedlungsblocks.
Emmy Glintzer hatte ihre künstlerische Karriere ganz solide aufgebaut, hatte sich von renommierten Professoren ausbilden lassen. Studium an der Staatlichen Kunstschule Berlin
bei Ernst Körner, einem bekannten deutschen Landschaftsmaler. Ebenfalls ihr Lehrer: Max Liebermann,
berühmter deutscher Maler und Grafiker, einer der bedeutendsten Vertreter des deutschen Impressionismus. Zu ihrem Freundeskreis gehörte auch der große deutsche Impressionist Max Slevogt.
Nach der Ausbildung betätigte sich Emmy Glintzer als freischaffende Malerin und Werbegrafikerin. Werbung
für die Stadt Berlin, die Berliner Verkehrsgesellschaft,
die Siemens-Werke.
Zu den weiteren Kunden zählten Reichsbahn
und Reichspost.
So gestaltete Emmy Glintzer 1930 ein Plakat, das von der „Reichsbahnzentrale für Deutschen Reiseverkehr“ weltweit herausgegeben wurde. Von der späteren nationalsozialistischen Ideologie war diese Werbung noch frei: Einfach nur „Spring in Germany“.
Auch wenn sie nach dem Krieg immer wieder betonte, nicht der NSDAP angehört
zu haben, bedienten sich die neuen Machthaber dennoch der Künstlerin. Während des Dritten Reiches schuf Emmy Glintzer weiterhin zeitgemäße Entwürfe. Zeitgemäß heißt hier: Werbung und Gebrauchsgrafik im Stil der nationalsozialistischen Zeit. Eine Plakatwerbung für eine Ausstellung „Deutsche Kolonien“ zeigt den deutschen Reichsadler, als Herrscher über Ostafrika, und die Hakenkreuz-Fahne in vollem Wind.
Dann kam der große Auftrag, für den ihr vom Reichsverband der Philatelisten die goldene Berolina-Plakette
verliehen wurde: Für die Deutsche Reichspost entwarf Glintzer die Briefmarkenserie „Germania mit Kind“
in Werten von 3 bis 25 Reichspfennig. Die Wertzeichen wurden zur Wiedereingliederung des Saargebietes an das Deutsche Reich, am 1. März 1935, herausgegeben. Und damit der völkische Bedarf gleich mehrfach bedient war, gestaltete Emmy Glintzer noch einen motivisch passenden Porzellanteller mit Goldrand - Gedenken an die „Heimkehr der Saar“.
In der neuen Heimat Eberbach
fasste Emmy Glintzer nie so richtig Fuß.
Es fehlte an Platz für ihr Schaffen, Kontakte zur Außenwelt vermied sie. Glintzer lebte zuletzt abgeschieden in ihrer Wohnung in der Steigestraße. Sie zehrte von ihrer Vergangenheit und hatte sich ihrer Gegenwart abgefunden. Die Herausgabe der Briefmarke „Die Saar kehrt heim!“ war der Riesenerfolg für Emmy Glintzer, die Erinnerung ihres Lebens. Dabei nahm sie es hin, dass nach dem Krieg niemand mehr mit ihr Kontakt haben wollte und dass sie auch nicht mehr die nötige Wertschätzung als Künstlerin erfuhr. Dazu kam in den letzten Lebensjahren ein großes Handikap: Die malende Künstlerin Emmy Glintzer erblindete.
Aus der Zeitung musste ihr vorgelesen werden. Die Evangelische Nachbarschaftshilfe und die Diakonie sorgten für das regelmäßige Essen und das sonst Nötigste.
Hildegard Woldrich (heute 73) hat Emmy Glintzer rund ein Jahrzehnt vor ihrem Tode betreut, zuletzt zeitweise zusammen mit zwei Zivildienstleistenden. Hildegard Woldrich beschreibt Emmy Glintzer als einsame, aber sehr zufriedene Frau. Dirk Boch, heute evangelischer Schuldekan im Breisgau-Hochschwarzwald, war einer der Zivildienstleister, die Emmy Glintzer regelmäßig betreuten. Er erinnert sich an eine „beeindruckende Frau“, die ihr Leben mit dem Satz akzeptierte: „Es ist wie es ist“. Nur Wenigen gegenüber öffnete sie sich, mit denen sie in ihrer Wohnung Gespräche geführt hat.
Emmy Glintzer lebte aus Kisten
und mit vielen gehorteten Erinnerungen an ihre früheren Jahre. In der kleinen Küchenecke stand ein Elektro-Kocher mit einer Platte, einem einzigen Topf und einer einzigen Pfanne. Als ihr ein 1989 ein neues Radio gebracht wurde, war Emmy Glintzer überglücklich. Die Einsamkeit vertrieb Hansi, ihr Wellensittich. Nach dem Tod von Emmy Glintzer im Mai 1992 zeigte sich: Man hätte es ihr „noch viel schöner machen können“, bedauert heute Hildegard Woldrich. Wenn das denn Emmy Glintzer überhaupt gewollte hätte. Denn sie blieb immer bescheiden, hatte bis zu ihrem Tod fast 100 000 D-Mark
angespart. Emmy Glintzer vererbte überdies einen reichen Schatz an künstlerischer und persönlicher Hinterlassenschaft, beispielsweise die Korrespondenz mit Max Liebermann.
An Emmy Glintzer erinnern sich nur noch ganz wenige in Eberbach. In der Stadt ist so gut wie nichts von Emmy Glintzers Schaffen geblieben. Hildegard Woldrich hat jetzt noch ein Landschaftsbild und ein Stillleben mit Blumen. Emmy Glintzer wird von der Fachwelt als nationale Künstlerin eingeschätzt.
Das Deutsche Kunstarchiv im Germanischen Nationalmuseum
erhielt aus dem Erbe einen Teilbestand. Ein ergänzender Fundus liegt im Deutschen Postmuseum in Frankfurt am Main. Das Stadtarchiv kann wenigstens mit der Meldekarte von Emmy Glintzer nachweisen, dass Emmy Glintzer einmal in Eberbach gelebt hat.
Aufnahme: 1. Juni 1945 Waldshut. Quelle: Digiporta