Neuer Text

Kirchel am Hebert


Das Kirchel diente der Heilig-Kreuz-Verehrung

Die kleine Waldkapelle wird in diesem Jahr 500 - Viele Dörfer bauten mit -Heute noch Gottesdienste im Wald
Das Kirchel am Hebert heute.

April 2016
Von Rainer Hofmeyer

Es ging nur um eine einsame kleine Kapelle droben im Wald auf dem Hebert. Aber was für ein Aufheben da vor 500 Jahren gemacht wurde, wer alles beim Bau dabei sein wollte. Wahrscheinlich war es die tiefe Religiosität der Menschen in der Gegend rund um Eberbach und die Sorge um ihren Lebensunterhalt, die sie 1516 ins Zeug warfen. Um mehr oder weniger ohne Lohn eine Verehrungsstätte im Wald erstehen zu lassen - das spätgotische Eberbacher „Kirchel“.

So wie nämlich bekannt ist, diente das Gebäude ehemals der katholischen Heilig-Kreuz-Verehrung. Vor allem in der Weidezeit zwischen den beiden Heilig-Kreuz-Tagen 3. Mai und 14. September zogen die Bauern der Nachbarschaft hinauf, um göttlichen Beistand für Ernte und Vieh zu erflehen. Oder sie machten auf dem Weg zwischen Eberbach und Neunkirchen Halt für ein Gebet. Als weitere markante Gottesdiensttage sind überliefert: Sankt Markus am 25. April und der Elisabethentag, 19. November. Heute werden beim Kirchel nicht nur evangelische oder ökumenische Gottesdienste abgehalten - es gibt solche zum Beispiel zu Weihnachten. Für so manches weltliche Fest mit Bier und Blaskapelle dient das kleine Steingebäude bei der Strecke Richtung Schwanheim - Aglasterhausen als Kulisse.

Das Kirchel ist ein Ausflugsziel geworden. Es ist gut erhalten, wenngleich es heute als bloßes Steingebäude grüßt. Ein Helm auf dem Dach und die Ziegel sind längst verschwunden. Schließlich musste das Gebälk im Laufe der Jahrhunderte mehrfach erneuert werden. Die früher fest eingebaute Inneneinrichtung ist nicht mehr vorhanden. Es gab einst einen Steinaltar mit Kruzifix. Eisenstangen in Fensteröffnungen sind auch abgenommen. Dass das Kirchel früher von einem stabilen Gittertor geschlossen wurde, bezeugen nur noch Widerlager im Eingangsbogen.

Über das Alter des Kirchel gibt es keine Zweifel. Die Jahreszahl 1516 ist dort in Stein gehauen. Auch finden sich im Stadtarchiv Dokumente, die aus der Bauzeit stammen. Das Eberbacher Schmuckstück wird also tatsächlich ein halbes Jahrtausend alt. Es gab schon vorher eine kleine Kapelle am heutigen Ort. Grabungen haben Anfang des 20. Jahrhunderts ergeben, dass diese dem Kirchel etwas vorgelagert war. Der alte Bau wurde abgerissen, als der neue stand.

Für den Unterhalt der alten und neuen Kapelle sorgte der Fond des „Heiligen Kreuzes auf dem Hebert“. Die Mittel der Stiftung bestanden aus dem Pachtzins für einen Acker am Eberbacher Schafbrunnen, dem Erlös beim Verkauf von Dingen des täglichen Verzehrs und den Scherflein aus dem Opferstock. „Ziemlich geringfügige Einnahmen“, weshalb beim Bau des neuen Kirchel vor über 500 Jahren viel Barmherzigkeit der Gläubigen gefragt war. Sprich: Man erwartete kostenlose oder billige Dienste der gläubigen Odenwälder.

Zwei Jahre vor Baubeginn, also 1514, erbaten Eberbachs Bürgermeister und Rat die Erlaubnis zum Abriss der alten Kapelle und für einen Neubau. Adressat der ehrfürchtigen Bitte war der Bischof von Würzburg. Eine Instanz, bei der man zu Recht fragt, warum ausgerechnet sie über religiöse Angelegenheiten auf der linken Neckarseite befinden konnte, die kirchlich eigentlich zum Bistum Worms zählte. Dem geht der Eberbacher Stadtarchivar Dr. Rüdiger Lenz im neuen Geschichtsblatt nach, das in Kürze herauskommt. Dem Kirchel ist ein ausführlicher Beitrag gewidmet.

Rüdiger Lenz nimmt sich auch der Frage an, ob das Kirchel eine kleine Wallfahrtskapelle war, wie sie so oft beschrieben wird. Schließlich soll sich in der Nähe ein Pilgerweg befunden haben. Vor rund 80 Jahren war jedoch schon Altbürgermeister Dr. John Gustav Weiss in einem historischen Beitrag zur Überzeugung gekommen, dass das Kirchel eher ein kleiner zentraler Ort nur für die Menschen der Umgebung war, der sie quasi sternförmig anzog. Es wird sogar vermutet, der Zulauf der Menschen „aus den Dörfern“ sei größer gewesen als aus Eberbach selbst. Dass in der kleinen Kapelle nicht alle Gottesdienstbesucher Platz haben konnten und draußen stehen mussten, wurde bereits beim Bau berücksichtigt: Die Toröffnung ist überdimensioniert groß, man kann gut Einblick nehmen.

Der Bau des Kirchel vor 500 Jahren war eine Leistungsschau der Handwerker aus nah und fern. Steinmetze, Maurer, Zimmerleute, Schlosser, Schreiner. Auf dem Hebert gab es eine richtige Baustelle mit allem Drum und Dran. Dort war ein Kalkbrennofen aufgebaut. Die Reifschneider und Kübler Hans und Barthel Wolff stellten die Fässer für Wasser, Kalk und Sand. Am Berghang wurde ein Aufzug für die Steine eingerichtet. Die Sandsteine mussten mühsam zur Baustelle geschleppt und gerückt werden. 1300 gebrauchte Dachziegel wurden beim „den Heiligenpflegern von Schwarzach“ gekauft, 1000 neue kamen dazu. Sand wurde auf dem Neckar herangebracht. Am Ufer umgeladen, schleppte man ihn den steilen Neckarberg hoch - die Serpentinenstrecke Richtung Schwanheim gab es damals noch nicht. Der Schiffer berechnete nur seine Auslagen, „das Übrige ließ er dem Heiligen Kreuz nach“, berichtet John Gustav Weiss.

Wenn man in alten Unterlagen blättert, findet man Hinweise auf Handschaffende aus Orten, die selbst den älteren Eberbachern kaum sofort geläufig sind. Die Löhne und Vergütungen für die eingesetzten Handwerker und ihre Gehilfen waren insgesamt sehr gering. Allenfalls erhielten die Arbeiter ein Trinkgeld oder eine Weinspende in natura. „Jörg, der Steinmetz“ bekam für seine schwere Arbeit 70 Gulden, Jörgs „Knechten“ wurde eine kleine Vergütung in die Hand gedrückt.

Die Bauherren erwarteten von den Landwirten der Umgebung weitgehend unentgeltliche Fuhrleistungen. Ein kleines Zehrgeld, Wein und Brot sollte den Bauern angesichts der hehren Aufgabe genügen. Eberbacher Fuhrleute wurden eingespannt. Die Herkunft der anderen Helfer ist gleich mit der langen Liste der Ortschaften rund um die Neckarstadt: Rockenau, Pleutersbach, Wimmersbach, Igelsbach, Lindach, Schwarzach, Michelbach, Gerach, Hebstahl, Hainbrunn, Rothenberg, Gammelsbach, Dielbach, Schollbrunn, Strümpfelbrunn und Balsbach.

Auch Frauen und „zwölf Mayden“ wurden herangezogen. Sie mussten drei Tage lang Wasser tragen - zum Kalkablöschen. Es gab für sie nur rund ein Viertel eines „Manneslohnes“, mit der Begründung, es seien ja „keine erwachsenen Mädchen“ gewesen. Derart vom guten Willen getragen, schritt das Bauwerk gut voran. Aus heute noch vorhandenen Rechnungen ergibt sich, dass eine Grundsteinlegung stattfand.

Dann fertiggestellt, konnten im Kirchel die Gottesdienste an den vier markanten Kirchentagen stattfinden. Jetzt zeigte sich, dass sich nicht jeder so uneigennützig der göttlichen Verehrung hingab wie die zahlreichen Bauhelfer aus nah und fern. In den Rechnungen des Heilig-Kreuz-Fonds finden sich in der Folge zahlreiche Ausgaben für die Gottesdienste. Der „Caplan“ bekam sein Salär fürs Messehalten, der Schulmeister wurde fürs Liedersingen entlohnt, und dem „Herrn Pfarrer Friedrichen“ vergütete man eigens seine gelesene Messe in Heller und Schilling. 

Drinnen im Kirchel und draußen standen derweil die Menschen der Umgebung, die mit ihrer eigenen Kraft so viel für den Bau der kleinen Kapelle auf dem Hebert beigetragen hatten. Ein halbes Jahrhundert mag das so gegangen sein. 1556 wurde die Kurpfalz reformiert. Das war auch gleich das Ende der Heilig-Kreuz-Verehrung katholischen Ursprungs.

Die spätgotischen Fenster haben heute kein Glas mehr.

Beliebt auch für weltliche Feiern.

Auffällige Aussparungen im Mauerwerk

Im Mauerwerk des Kirchel befinden sich zahlreiche horizontal und vertikal zueinander passende Aussparungen (Löcher). Diese dienten der vorübergehenden Befestigung von Gerüsten.

Diese mittelalterliche Methode ist im Einzelnen hier ausführlich beschrieben.
Fotos: Rainer Hofmeyer
Share by: