Die Kirchturmuhr schreibt ein Stück Eberbacher Stadtgeschichte – Erst 1857 nachträglich eingebaut
Zeigt der Stadt die Zeit.
Dezember 2011
Von Rainer Hofmeyer
Wenn man den Kopf hebt, weiß man die Zeit und wo die Eberbacher Wetterseite ist. Gerade jetzt ist die große Uhr auf dem Turm der Evangelischen Stadtkirche besonders im Blickpunkt. Wind und Regen haben zwei Zifferblättern gehörig zugesetzt. Süden und Westen bedürfen dringend der Restauration. Dass die Uhr nicht der Kirche gehört, sondern ganz und gar weltlich ist, sieht man schon daran: Ob die Zifferblätter einen neuen Anstrich bekommen, wird im politischen Gemein-derat und nicht im Kirchengremium debattiert.
Die richtige Zeit auf schönem Grund ist liegt auch immer im Bürgerinteresse.
Und so hat derzeit, durch eine entsprechende weltliche Initiative, ein großartiger Spendenbetrag einen gehörigen Anschub zur Verschönerung gegeben. Die Uhr, deren Zifferblätter jetzt renoviert werden sollen, wurde 1857 nachträglich in den Kirchturm eingebaut.
Rund 30.000 Euro kostet die Sanierung der Zifferblätter der großen Turmuhr in der Bahnhofstraße. Es ist eine Angelegenheit des städtischen Haushaltes.
Eine Initiative des Eberbacher Bürger- und Heimatvereins hat etwa ein Drittel dieser Kosten als Spendenbeitrag eingebracht. Mit großen schwarz-grün-goldenen Modellen wurde ebenerdig um Spenden geworben. Gold oben am Turm ist teuer. Billiger wäre vielleicht sogar die geschichtlich originale Variante. Ursprünglich war die Turmuhr nämlich nur in schlichtem Schwarz und Weiß gehalten, wie der Blick in ihre Historie zeigt.
Die Uhr belegt eine Zeitspanne von königlich-bayrischer Handwerkerkunst bis zu belgischem High-Tech.
Der Zeitmesser war von Anfang an noch nicht vorhanden.
Fotografien aus den allerersten Jahren der Kirche sind nicht greifbar. Wenn man die Struktur der Steine um die Zifferblätter betrachtet, fällt auf, dass die Uhr
gewissermaßen auf die vier Turmseiten draufgesetzt
wurde.
Die Bauzeit der Evangelischen Stadtkirche war von 1835 bis 1837. Erst am 16. Mai 1841 wurde sie eingeweiht. Eine Familienchronik berichtet über die Feier: "Die ganze Stadt war geschönt...Kinder des ganzen Kirchspiels wohnten bei und wurden mit Brezen beschenkt". Eine Turmuhr gab es da noch nicht.
Noch vor der Einweihung, nämlich am 18. Januar 1839, beschloss der Eberbacher Gemeinderat, auf städtische Kosten eine Turmuhr und eine Glocke einzubauen.
Der Finanzrahmen für dieses Vorhaben: 2.300 Gulden.
Im obersten Stock sollte das Uhrwerk stehen, eine Etage darunter eine extra Glocke hängen, die die Zeit signalisieren sollte, aber auch für den Feueralarm dienen sollte.
Weil diese Glocke auch zum Gottesdienstläuten
bestimmt war, wollte die Stadt
als Entgegenkommen der Kirchengemeinde ein Turmzimmer zur Feuerwache
einrichten dürfen. Mit der Uhr und der Glocke waren die Evangelischen einverstanden, das Wachlokal wurde
aber letztlich von der zuständigen Kirchensektion im badischen Innenministerium abgelehnt.
Diese Diskussion zwischen Stadt und Kirche zog sich über Jahre hin. Im Dezember 1857 wurde deshalb erst das Präzisionswunder für 1000 Gulden eingebaut.
Hersteller dieses ersten Uhrwerkes war die "Königlich Bayerische Hof-Thurmuhren-Fabrik Johann Mannhardt" aus München.
Eine renommierte Firma, sie baute sogar die Uhr für die Frauenkirche in der bayrischen Hauptstadt. Zusammen mit den Zeitanzeigern im Pulverturm und am alten Rathaus war die Uhr bei der Evangelischen Kir-che dann die einzige Möglichkeit, öffentlich die Tageszeit zu sehen. Die Mannhardt'sche Uhr hat bis 1922 ihren Dienst verrichtet.
Und beim Einbau des zweiten Werkes ging die Stadt wohl ein wenig zu weit. Im Ersten Weltkrieg waren alle Glocken eingeschmolzen und 1920 wieder ersetzt worden, aber eine eigene Uhrenglocke gab es wohl nicht mehr.
Am 3. September 1922
mokierte sich die evangelische Seite: "Die politische Gemeinde hat ein neues Uhrwerk anbringen lassen und benutzt zum Schlag vier (unserer) Glocken, statt bislang drei. Die Anbringung wurde vorgenommen, ohne dem Kirchengemeinderat Mitteilung zukommen zu lassen."
Oftmals wusste die Pfarrgemeinde also nicht, was die Politik in ihrem Turm trieb. Das mit der Zahl der Glocken wurde geändert. Inzwischen klingen wieder nur drei Glocken. Die zwei kleinsten Kirchenglocken schlagen alle Viertelstunde. Die große Glocke muss für die volle Zeit herhalten.
Die Farbe der Zifferblätter hat einen zeitlichen Wandel mitgemacht.
Im Jahr 1899 und nach dem Ersten Weltkrieg wurde die Kirche renoviert. Als am 19. April 1920 Ersatzglocken eingebracht wurden, zeigt eine vergilbte Fotografie schon ziemlich verwitterte Zifferblätter. Auffällig dabei: Die Uhr war ursprünglich in kontrastreichem Schwarz-Weiß
bemalt. Anfangs war der Rand weiß mit schwarzen römischen Zahlen, bis mindestens in die Fünfziger Jahre, dann umgekehrt. Der aktuelle grüne Kern ist die dritte Variante
und erst bei der letzten Renovierung ausgesucht worden, das Gold auch. Die jetzige rostende Farbkombination Schwarz-Grün-Gold stammt aus einer Zeit, als sich Eberbach noch goldene Uhren leisten konnte. Historisch authentisch sind die jetzigen Farben aber auf keinen Fall.
Ein Kuriosum: Die Präzision der Eberbacher Kirchturmuhr hing lange davon ab, wie schnell man in Heidelberg erfuhr, dass die angezeigte Zeit eventuell nicht mehr stimmt. Noch in den 1940-er Jahren hatte ein Heidelberger Uhrmacher
für die Genauigkeit zu sorgen. Bis der dann von einer Abweichung erfuhr und sich auf den Weg nach Eberbach gemacht hatte, vergingen oft Tage. Manch-mal blieb so die Uhr auch mal ein paar Tage stehen. Auf diese Zeit war also keinerlei Verlass.
Kurz nach dem Krieg übernahm der Eberbacher Uhrmacher Otto Braun
die Sorge nach den richtigen Stunden und Minuten. Er hatte zwar den Namen des großen Eberbacher Uhrenmannes, war aber nicht mit ihm verwandt. Und Otto Braun musste die Sache sportlich nehmen, manchmal mehrfach am Tag die Treppen in den Turm nehmen. Zu den Zifferblättern sind es insgesamt 13 Treppen und Staffeln sowie eine steile Leiter.
Wenigstens musste das hinter Glas stehende zweite Pendeluhrwerk dank moderner Technik später nicht mehr von Hand aufgezogen werden. Dies übernahm ein Elektromotor.
Zweimal am Tag zu jeweils gleichen Zeiten sprang er an und zog an langen Seilen hängende Gewichte: Marmeladeneimer mit Steinfüllung.
Zwar eine Notlösung, aber eine praktische: Die kleinen Steine konnten ent-sprechend der Ganggenauigkeit perfekt ausgetauscht werden. Doch die halbwegs neueste Technik war auch nicht immer zuverlässig. Noch zu Otto Brauns Zeiten ist der Elektromotor einmal verglüht.
Das alte Uhrwerk von 1922 mit den langen Seilen und den Eimern ist noch vorhanden.
Quasi als kleines Museumsstück im Turm. Aber seit 1998 muss nicht mehr jemand jeden Tag zum Turm gucken, ob die Uhr stimmt. Die richtige Zeit kommt inzwischen aus Langen bei Frankfurt. Eine DCF 77-funkgesteuerte, nur knapp 30 Zentimeter im Würfel große Clock-o-Matic aus belgischer Fabrikation
empfängt die Atomzeit und gibt jede Minute einen Impuls an einen kleinen Motor, der die Zeiger entsprechend weiterrückt. Bei so viel Zuverlässigkeit muss die Wartungsfirma nicht mehr in Eber-bach ansässig sein. Die Schwarzwälder Schneider Turmuhren + Glockentechnik aus Schonach braucht nur noch einmal im Jahr einen Techniker zur Routinekontrolle schicken.
Eine Turmuhr macht gute und schlechte Zeiten mit. In den beiden letzten Kriegen wurden die Glocken der Kirche in Kanonen umgeschmolzen, die Uhr verlor ihre Stimme. Nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Glocken fehlten, sorgte Eberbacher Handwerkergeschick zumindest einige Zeit lang für einen ganz besonderen Gong. Der 84-jährige Diplom-Ingenieur Karlheinz Löb kann sich heute noch daran erinnern, wie er als Eberbacher Schlosser-Lehrbub 1945
beim früher allseits bekannten "Wasser-Neuer"
mitgeholfen hat, dass man wieder die Zeit vom Turm hören konnte. Ein eigentlich für die Reparatur eines im Krieg ausgebrannten Neckarschiffs bestimmter Eisenpoller
wurde über eine steile Leiter in den leeren Glockenstuhl gehievt und anstelle der eingebüßten Glocken aufgehängt.
Zum Neujahrstag 1946
schlug dann der trotz Krieges noch vorhandene Eisenhammer den Eberbachern wieder die richtige Zeit.
Das alte Uhrwerk ist stillgelegt, ist aber noch im Turm zu sehen.
Blick vom Heumarkt 1935.
Vor der Atomzeit: Eimer mit Steingewichten regeln die Präzision.