Studenten und Professoren der „Ruperto Carola“ zur Pestzeit in Eberbach – Gastunfreundliche Bürger – Schlägereien in der Stadt
Heute gerne gezeigter Teil der Stadtgeschichte - Sgrafitto am Karpfen.
Januar 2013
Von Rainer Hofmeyer
Heute ist Eberbach stolz auf sie. Gerne wird ihre Episode in der Stadtgeschichte erzählt. Im 16. Jahrhundert aber waren sie noch gehasst wie der schwarze Tod: Wahrscheinlich insgesamt fünf Mal wurden Studenten und Professoren der Heidelberger Universität zur Pestzeit in die kleine Neckarstadt umquartiert. Während in Heidelberg die Seuche wütete, war Eberbach ganz und gar pestfrei. Aus Angst vor Ansteckungen wehrten sich Bürgermeister und Stadtrat gegen die Aufnahme. Aber auch das Wesen der Studenten gab allen Anlass, sich der zwangsweisen Einquartierung zu widersetzen.
Gleich fünf Mal wurden Studenten und Professoren neckaraufwärts verlegt.
Der erste Aufenthalt
in Eberbach wird dem Jahr 1501
zugeschrieben. Es folgten Verlagerungen 1519 und 1528. Die letzte
verbriefte ist für 1555
datiert. Die Aufenthalte wurden in etlichen historischen Veröffentlichungen beschrieben. Im Archiv der Heidelberger Universität liegen heute noch alte, in Latein abgefasste Berichte. Dem damaligen Dekan Johannes Geyselbach ist zu verdanken, dass es eine ausführliche Beschreibung des vierten Aufenthaltes 1547 in Eberbach gibt. Der Eberbacher Oberstudienrat Karlheinz Mai
hat diese Aufzeichnungen in mühevoller Arbeit ins moderne Deutsch übersetzt und 1986 veröffentlicht.
Die Geschichte ist spannend zu lesen. „Als sich die Ansteckung mit der verseuchten Luft“ in Heidelberg
immer mehr verschlimmerte, „einige hoffnungsvolle Jünglinge“ aus den Reihen der Studenten dahingerafft wurden, entschloss sich die Universität zur „rechtzeitigen Flucht“. Magister Arnold Koch wurde ausgesandt, um geeignete Ausweichmöglichkeiten zu finden. Eberbach und Mosbach wurden ins Auge gefasst. Beide Orte waren jedoch schon stark bevölkert. Aber zwischen den vier Eberbacher Stadttürmen waren recht viele Häuser leer gestanden. Das „fand der Rat der Hohen Schule für gut“.
Eberbach war 1547 genauso kurpfälzisch wie die Universitätsstadt Heidelberg. Kurfürst Friedrich II., der Weise, benachrichtigte seine Eberbacher. Die versprachen „höchstes Wohlwollen“. Als der Dekan der Universität mit einem Magister daraufhin in freudiger Erwartung in Eberbach erschien, erlebten beide erst einmal eine gut besuchte Stadtratssitzung. Und da war Ende mit der kurpfälzischen Solidarität. Der Ratsbeschluss: Studenten und Professoren aus Heidelberg werden nicht mehr aufgenommen.
Die Odenwälder Sturheit hielt nicht lange. Friedrich II., er residierte in Germersheim, war ohnehin sehr der Bildung seiner Untertanen zugewandt, gründete 1546 sogar eine Lehranstalt in Heidelberg - das heutige Kurfürst-Friedrich-Gymnasium. Ein „nachdrückliches Schreiben“ der Räte des Fürsten an den kurfürstlichen Statthalter in Eberbach, den Keller, und den Stadtrat ließ den Widerstand zusammenfallen, zumindest offiziell.
Am 14. Juli 1547
konnte der Rektor der „Ruperto Carola“ aufatmen. Man sollte sofort nach Eberbach
aufbrechen. Die Hohe Schule mietete ein Schiff
für alle. Ab ging‘s mit allem Notwendigen. Niemand „Unreins oder Befleckts“ durfte mit auf die Neckarfahrt
genommen werden. Vier Tage später und rund 30 Kilometer flussaufwärts waren Studenten und Professoren in ihrem Ausweichquartier angekommen.
Ratsbeschluss hin - Mentalität der Eberbacher her. „In alter Abneigung gegen die Studenten der Wissenschaft“,
hatten die Einwohner vorher leerstehende Häuser besetzt. Und was noch an wenigen geeigneten Wohnungen zu haben war, kostete „völlig ungerechtfertigte Mieten“.
Eine „Frau adliger Herkunft“ verlangte im Bettendorf'schen Haus
beim Pfarrhof für den Aufenthalt des Dekans 100 Gulden, für Wohnungen der Stipendiaten quetschte sie 80 Gulden Jahresmiete heraus. Im selben Anwesen war auch die Mensa untergebracht, der „öffentliche Tisch“.
Manche Professoren und fast alle Studenten waren anfangs gezwungen, in den Wirtshäusern
wohnen. Schließlich zog man in die Bürgerwohnungen,
in der Hoffnung, der Fürst könne über seinen Keller nachträglich eine Herabsetzung der Mieten durchsetzen. Doch die Eberbacher blieben stur. Man „konnte nur wenig bei diesen unangenehmen Menschen erreichen“, liest es sich im Universitäts-Archiv. Selbst die Dinge des täglichen Lebens wollten die Einwohner teuer verkaufen. Getreide und Brennholz sowie den für das Studium offenbar notwendigen Wein gab es nur zu Wucherpreisen. Schließlich schaffte die Universität alles außer Fleisch und Fisch aus Heidelberg heran.
Zwischendrein wurde Eberbach in besonderen Schrecken versetzt. War doch der „ehrenwerte und gebildete Student Johannes Angelus aus Weyßenburg“
einmal nach Heidelberg gereist und hatte die Pest mitgebracht. Der Eberbacher Keller erließ eine Ausgangssperre und steckte den Studenten in die Quarantäne; der Weißenburger starb. Im Oktober schienen die Studenten dann von der Last der Eberbacher Gastunfreundlichkeit erlöst zu werden und die Eberbacher die rauflustigen und teils bewaffneten studentischen Horden los zu sein: Auf den Martinstag 1547 war die Rückreise angesetzt.
Aber die Studenten reisten am Martinstag nicht ab. So kam denn auch der 27. Dezember 1547,
der Feiertag Johannes des Evangelisten. Und der Tag wurde offenbar kräftig gefeiert. Es gab Prügel, es kam es zum „langen und heftigen Zusammenstoß“ zwischen Städtern und einigen Studenten.
Ein Eberbacher wurde beim Raufhandel nicht unerheblich „an einer gefährlichen Stelle“ verletzt, ein Student wurde ebenfalls blessiert.
Zwei Studenten
wurden überwältigt, vor den Keller gezerrt und von diesem ohne großes Federlesen ins Gefängnis
gesteckt. Der kurfürstliche Beauftragte in Eberbach war jedoch etwas vorschnell, warum auch immer. Er verstieß damit nämlich gegen das Universitäts-Privileg einer eigenen Gerichtsbarkeit, das „der Auswanderung gefolgt sei“. Der übergeordnete kurfürstliche Amtmann aus Mosbach musste die Sache klarstellen. Die Studenten wurden am Ende aus der Eberbacher Haft freigelassen.
Der Rektor der Universität bedauerte die „Unbeherrschtheit und Unbesonnenheit“ der Burschen, ordnete im Rahmen seiner Rechtspflege gegenüber dem Dekan an, „ihnen die Waffen wegzunehmen, sie zu bestrafen oder streng zu verwarnen“.
Die Spannung zwischen den ehrenwerten Bürgern und den gehassten Akademikern hielt immerhin noch bis Lätare 1548, 11. März: Dann zog die Universität endlich zurück nach Heidelberg. Eberbach atmete auf. Der Atem stockte 1555
wieder. Da wurde der kleine Ort am Neckar noch einmal, für ein Jahr lang,
Gastgeber für die Universität Heidelberg.
Eberbach querulierte nicht nur, sondern tat auch Gutes für Wissenschaft und Lehre. Höchst unfreiwillig allerdings. Im Jahr 1581 stiftete ein Eberbacher ohne gezielte Absicht posthum für Studenten. Als sich „Bürger“ Nicolaus Wecker selbst entleibt hatte, wäre es dem Kurfürsten eigentlich zugestanden, die Hinterlassenschaft des Selbstmörders einzuziehen.
Es wurde aber ein Vermächtnis für die Universität. Kurfürst Ludwig VI., inzwischen war er Landesherr, gründete mit dem umfangreichen Erbe des Bürgers die „Wecker‘sche Stiftung“: Stipendien für Heidelberger Studenten aus Eberbacher Kapital.
Die große Ehre, fünf Mal Universitätsstadt gewesen zu sein, ist erst Jahrhunderte später ins städtische Bewusstsein Eberbachs gerückt.
Pfalzgraf Friedrich II. .
Das Bettendorf'sche Haus im Zentrum des studentischen Lebens - damals.