Vier Türme sind Eberbach aus dem Mittelalter geblieben - In der Altstadt zeigt sich der Grundriss der ehemaligen Reichsstadt
Älteste Stadtansicht von 1619.
Januar 2013
Von Rainer Hofmeyer
Würde man heute die Entscheidungen von damals treffen und würden die gegenwärtigen strengen Denkmalregeln gelten, Eberbach würde noch mehr von seinem mittelalterlichen Gesicht
zeigen können. Man würde heute alte Mauern und Häuser bewundern können, die einst recht schnell gefallen sind. Der Denkmalschutz würde heute so mancher Aktion mit der Spitzhacke einen Riegel vorschieben, die das Direktorium des Neckarkreises
im 19. Jahrhundert
allzu gerne erlaubte.
Wenn man zusammenträgt, was diese badische Denkmal-Instanz einst zum Abbruch freigab
- Eberbach wäre ein prächtiges historisches Ensemble mit vielen Attraktionen
an allen Ecken und Enden. So hatte aber die einstige Bewertung vor einem Abriss immer wieder gelautet: „auf keine Weise als Kunstdenkmal des Altertums eingeschätzt“.Das waren im wahrsten Sinne vernichtende Urteile
über Teile der heimischen Stadtgeschichte.
Eberbach war eine Reichsstadt
mit vielen schönen Details. Es standen vier Ecktürme, die die Stadt in ihren Ausmaßen begrenzten, umfasst von einer Stadtmauer mit Wehrgang und Zwinger. An den Ausgängen grüßten Tortürme. Drei große Tore öffneten - und verschlossen - die kleine Stadt am Neckar. Beim Thalheim’schen Haus
betrat man Eberbach aus Richtung Gammelsbach kommend durch das Untere Tor. Die Hauptachse bildeten Kellereistraße und Hauptstraße, an deren Ende das Obere Tor
zum Odenwald aufging. Das Neckartor
zeigte zum Fluss, der damaligen Hauptverkehrsader.
Das war aber noch nicht alle Schönheiten: Es gab einen Geisturm
bei der Binnetzgasse, ein Rathaus
beim heutigen Alten Markt überragte die gesamte Stadtsilhouette - schön wie das berühmte Michelstadter Rathaus und noch größer. Das Thalheim’sche Haus und das große Ensemble bei Pfarrhof waren weitere Schmuckstücke - die stehen immer noch. Das heute dort noch begehbare Bettendorf‘sche Tor
war wohl ein privater Ausgang.
Eberbach am Neckar ist eine staufische Gründung.
Vorher lag die Stadt hangseitig am Scheuerberg, Richtung dem späteren Bahnhof. 1227
wird die Burg Eberbach
in einer Urkunde erwähnt. 700 Jahre später hat man das Stadtjubiläum an diesem Jahresdatum orientiert. Zu Stadtrechten
gehören Stadtmauern,
dem Schutze der Bürger dienend. Um 1241 wird von einer werdenden Stadt Eberbach berichtet. Die steinerne Umfassung - 270 Meter lang, 170 Meter breit - war in jenem Jahr im Bau. Ihre Grundrisse sind noch zu ermessen.
Auch wenn man in Zwingerstraße und Weidenstraße noch vollständige Abschnitte der alten Stadtmauer
sehen kann - es ist auch noch viel altes Gemäuer in und bei den Eberbacher Häusern versteckt. In der Bahnhofstraße 2 fand sich im Keller jetzt das originale Fundament (wir berichteten). Ein paar Häuser weiter in einer kleinen Boutique bildet die sichtbare Stadtmauer die Rückfront des Ladens.
Beim Lindenplatz
queren Steine an der Stelle des alten Bollwerks die Straße und zeigen die Richtung der Stadtmauer zum Pulverturm.
Das Viktoria-Café bewirtet seine Gäste im freien Rückraum vor der fast 800 Jahre alten Mauer. In der Baden-Württembergischen Bank zeigte sich beim Neubau in den 1970er-Jahren auch noch die Stadtmauer im hinteren Schalterraum - sie wurde mit Regalen verblendet, ist dahinter noch erhalten. Und im Winkel zwischen Polizei und ehemaligem Hotel Kettenboot ist ebenfalls der Strang der einstigen Stadtbefestigung zu sehen.
Im 13. Jahrhundert
beginnend, sind wohl alle vier jetzt noch stehenden Stadttürme
gebaut oder verändert worden, wenngleich sie in Urkunden zu unterschiedlichen Zeiten erwähnt werden. Der runde Rosenturm lässt sich aufgrund baulicher Besonderheiten der Entstehungszeit der Stadtmauer zuordnen. Im 15. Und 16. Jahrhundert finden sich Schriftstücke im Stadtarchiv, die von diesem Turm berichten, als „Rossenbrunner Thurn“.
Wenn im 15. Jahrhundert von einem „Bronnen Tor“
geschrieben wird, könnte es sich um das jetzige Bettendorf’sche Tor
handeln.
1475 wird von einem „Badstoben Thorn“
berichtet. Es handelt sich um den heutigen Haspelturm,
bei den „Badstuben“ gelegen - dem Badhaus.
Wegen seiner Bauweise wird er dem 14. Jahrhundert zugerechnet. Seine Fundamente dürften älter sein - wohl aus der Zeit der ursprünglichen Stadtbefestigung, also hundert Jahre zuvor. Dass tatsächlich Gefangene mit einer Haspel zum Boden des Turms abgelassen wurden, wie kolportiert wird, ist nicht belegt. Dennoch hat der beim Lindenplatz versteckte Turm bis heute seinen Namen weg.
Erst 1548/1549 taucht der Pulverturm
in Urkunden auf, wenngleich sein Unterbau ebenfalls im 13. Jahrhundert errichtet worden sein muss. Anfangs hieß er Mantelturm, wegen seiner mantelartigen Form. 1676 dann kommt der Name „Pulverturm“ auf, schon damals Umgangssprache für einen Hort des Geldes. Der Vierte im städtischen Bunde ist der Blaue Hut. 1480 lässt er sich als „Torn uff Beczenkammern“ nachweisen. Die Betzenkammern waren zwei Arrestzellen für Gefangene. Das Blau im Namen übernimmt der Turm von seinem Schieferdach.
Zweiter Mauerring
Im Laufe der Jahrhunderte veränderte die Stadtmauer immer wieder ihr Aussehen und ihre Funktion. Sie wurde den immer stärker wirkenden Waffen angepasst. Darüber hinaus brauchten die Bürger mehr Platz. 1525 ließ ausgerechnet der pfälzische Keller Philipp von Neuenhaus ein Stück Mauer abreißen
und sein Haus draufsetzen. Die älteste Eberbacher Stadtansicht von 1619
zeigt, dass viele Bürger dem Beispiel des Verwaltungsmannes gefolgt sind.
Alte, im Stadtarchiv deponierte Jahresrechnungen vom Ende des 15. Jahrhunderts belegen, dass die Eberbacher zum Schutz vor Angreifern längst einen zweiten Ring um ihre Stadt gelegt hatten - die etwas niedrigere Zwingermauer.
Auch an diesem äußeren Ring gab es kleine Türme und Durchlasse. Zwischen den beiden Steinmauern lag der Zwinger. Dort konnte Vieh weiden, manch kleiner Garten wurde angelegt. Gleichzeitig diente das Gelände auch der Aufnahme von Abfall, der aus kleinen Abtritten aus Häusern bei der Stadtmauer herunterplumpste.
Markante Bauten abgerissen
Im 19. Jahrhundert begann das große Abreißen.
Jetzt fiel eine steinerne Erinnerung an das Mittelalter nach der anderen. So ging ein Großteil historischer Bausubstanz verloren. Die Tortürme mit ihren engen Durchfahrten hinderten die immer größer werdenden Fahrzeuge, ließen die Sonne nicht in die Straßen scheinen. Dazu legten die Bürger Wert auf eine bessere Luftzirkulation.
Da die Stadttore keine Schutzfunktion mehr zu erfüllen hatten, waren sie aus der Sicht der Bürger überflüssig. An mögliche touristische Höhepunkte
in späterer Zeit dachte niemand.
1812 fiel der Neckartor-Turm.
Drei Jahre vorher hatte die Stadt ihn erst zusammen mit einem kleinen Wachhaus repariert, jetzt war er angeblich baufällig geworden. Zumindest förderte diese Behauptung die Entscheidung, den Turm abreißen zu können. Der Turm am Oberen Tor
musste 1828
dem späteren Neubau der Evangelischen Kirche
weichen, heute Michaelskirche genannt. Der kleine Geisturm
am Ende der Binnetzgasse wurde 1832 restlos abgebrochen. Elf Jahre vorher hatten die Stadtvorderen ihn erst noch einmal instandsetzen lassen.
Ein langsamer Niedergang war dem Untertor-Turm
beim Ende der Kellereistraße beschieden. Der zeigte einen besonders kleinen Durchfahrt-Querschnitt. 1753 und 1755 hatte der Turm ein neues Dach bekommen und eine neue Turmuhr. 1820 noch wurde das Bogengewölbe saniert. 1844 beantragte der Bürgerausschuss, den Untertor-Turm niederzulegen. Erst 1872 kam das Ende - er wurde abgerissen. Gegenstimmen regten sich nirgends, auch nicht vom Denkmalschutz. Die Begründung für die Abriss-Freigabe klingt heute hanebüchen: Der „so sehr hemmende Unterthorthurm“ sei „weder ein Kunstwerk“ noch habe er „geschichtlichen Werth“.
Info.
Historische Beratung: Dr. Rüdiger Lenz und Dr. Marius Golgath, Stadtarchiv Eberbach